SOULMATE (German Edition)
war. Nebenbei zappte ich mich erneut durch sämtliche Fernsehkanäle und konsumierte das stupide TV-Programm häppchenweise und garantiert unkritisch, denn alles, was einer Reizüberflutung von außen nahe kam, war gerade das Richtige für mich, denn innerlich war ich nämlich, treffsicher ausgedrückt, am Arsch, würd ich sagen.
Irgendwann war ich eingeschlafen, schlief bis 03.20 Uhr durch, wachte plötzlich auf, weil ich aufs Klo musste. Im Fernsehen lief gerade Werbung mit halbnackten, stöhnenden Frauen, die angerufen werden wollten. Ich schaltete den Fernseher aus, torkelte schlaftrunken ins Bad, pinkelte halb dösend eine gefühlte Ewigkeit lang und stand dann am Waschbecken vor dem Spiegel. Ich sah diese mir entfernt bekannte Person: die Haare zerzaust und in alle Richtungen abstehend, das Gesicht zermanscht und ausdruckslos, die Augenlider auf halbmast und der Blick verhangen, als wäre sie in jeglicher Hinsicht orientierungslos … verloren.
Sieh dich an , sagte ich zu ihr, nur in Gedanken zwar, aber dafür mit einer unbarmherzigen Autorität, die ihre Wirkung nicht verfehlte … putz dir wenigstens die Zähne …
Am nächsten Tag hatte ich wieder Schicht mit Colette und Sören. Je wortkarger ich mich gab, desto mehr redeten die beiden auf mich ein. Sören brabbelte unaufhörlich über seine Ekzeme, die - ich wollte es gar nicht wissen - komischerweise schlimmer würden, wenn er Pizza Gorgonzola esse oder auch körnigen Frischkäse. »Da, siehst du«, seufzte er, schob die Ärmel seines Pullovers hoch und zeigte mir seine Unterarme. »Vorgestern noch kaum was zu sehen und heute …?«
Ich tat so, als hätte ich hingesehen. »Dann iss doch die Sachen nicht, die die Ekzeme verschlimmern.«
Ich wandte mich genervt ab, machte mich daran, die Strohhalmbehälter aufzufüllen.
Sören schien verstanden zu haben. Er nahm sich einen Kaffee und verzog sich wieder an den Kassenpult, an dem nichts los war, also holte er eins seiner Magazine hervor und blätterte darin herum.
Colette war weniger leicht abzuwimmeln, fragte gefühlte tausend Mal, was mit mir um »Immels willeen« los sei, doch ich machte total dicht. »Mir geht‘s gut!«
Sie glaubte mir natürlich kein Wort.
Von Finn kam zum Ausflippen keine Nachricht, einfach nichts, nada, nothing, nichts. Nichts, nichts, nichts … Kein Anruf, keine SMS … nichts. Dennoch hielt ich meinem dringenden Wunsch, ihn anzurufen, seine Stimme zu hören, erfolgreich stand und würde auch zum Teufel noch mal nicht klein beigeben. In meiner Gesäßtasche steckte mein Handy, damit ich den Vibrationsalarm spürte, falls ich das Klingeln überhören sollte.
Dann, gegen Nachmittag, kam eine SMS. Nein nicht von ihm, leider. Sie war, tja, von Tom, als hätte Tom Nowak einen Seismographen, der immer, wenn ich Frust wegen Finn schob, heftig ausschlug. Der Wortlaut ging so:
Hi hab ne neue band bin echt froh werden bald nen richtig geilen gig haben musst unbedingt kommen sonst verspiel ich mich wegen dir kannst flynn auch mitbringen sag dir noch bescheid wo und wann der rabe!!!
Der Rabe! Tss. Und ‚Flynn‘ … Er hatte garantiert mit purer Absicht Finns Namen falsch geschrieben. Ich schmunzelte dennoch, konnte Tom komischerweise nicht wirklich böse sein.
Das mit der neuen Band hat er aber schnell hingekriegt, wow! , dachte ich ehrlich beeindruckt. Plötzlich stand Colette hinter mir, schaute mir über die Schulter und auf mein Handy. »Also, was iest denn los, Vallrie! Ast du schlechte Nachrischten?«
Ich steckte das Handy schnell weg. »Ach, nein, Colette, bitte, ist alles okay.«
»Nö, iest niescht okay!«
»Was willst du von mir?« Ich fühlte mich bedrängt und hilflos. Wie sollte ich in Worte fassen, was los war? Wie sollte ich über meinen Zustand reden, ohne preiszugeben, dass die Dinge mit Finn offensichtlich nicht so perfekt und unkompliziert liefen, wie ich es mir gewünscht hätte.
»Iesch will, dass deine aselnüssbraunen Äugschen wieder lachen, Vallrie«, sagte sie besorgt, die vollen Lippen keck vorgestreckt. Sie trug heute eine glänzende, blaue Seidenbluse, einen engen schwarzen Rock und knallrote Stiefel mit flachen Absätzen. Ich sah sie gerührt an. Sie war wirklich eine liebe Seele, die schrille Mademoiselle Colette. Dann musste ich sie umarmen, und ja, dann ging‘s los! Erst ein paar wenige Tränen, dann Rotznase, dann noch mehr Tränen und noch mehr Rotz … schnaub, schluck … Ein Glück war gerade absolut nichts los im
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