Soutines letzte Fahrt: Roman (German Edition)
malen, prächtige Stillleben, strahlende Blumen und Frauen, Hymnen an die Freude, ans Licht. Er wird jahrelang zwei bizarre verschiedenfarbige Schuhe tragen, einen roten, einen gelben, die er auf dem Flohmarkt fand. Rosa wird russische Wirrköpfe aufnehmen und füttern, Nihilisten, Anarchisten, Umstürzler, die ihr wirre Traktate überreichen, und Kikos Atelier wird von der französischen Polizei überwacht, es gibt auch Spitzel im Bienenstock, die diese osteuropäischen Fremden im Auge behalten. Aber er bekommt einen milden Eintrag in der Kartei: Ungefährlicher Bolschewist.
Und Soutine wird weder dies noch das, nicht Familienbolschewist, kein Botschafter der Freude, sondern der Scham, geboren zu sein, und das Etikett des heillosen Unglücksmalers wird er nicht mehr los. Es geht nicht um Glück oder Unglück. Es geht um Farbe oder Nicht-Farbe. Um das Weiß mit den blauen und roten Schlieren. Um Veronesegrün, Türkis, Scharlachrot und die Farbe des Blutes. Um den Tod der Farbe, die nicht sterben kann, die Auferstehung der Farbe. Um die zu üppig aufgetragene, aufgewellte, geschraffte, borstige, gepeinigte, triumphierende Farbe.
Die Farbe versöhnt nicht mit der Wirklichkeit, nein, wenn Sie glauben, Schwarz und Weiß sei die rauhe Wirklichkeit, die Farbe aber das Paradies – nein, es ist noch einmal alles anders. Die unversöhnliche Farbe beugt sich keinem Gesetz, sie ist selber die Rebellion und die Auferstehung der Materie und des Fleisches. Das Paradies wird weiß sein, keine Farben kennen. Aber um welchen Preis.
Sie waren angekommen, Hamlet hatte ihnen die Plätze angewiesen, und sie waren bereit, ihren Aufenthalt in der Mitte der Welt zu verdienen, dieser Stadt würdig zu sein. Auch wenn sie die Fremden schief ansieht auf der Straße, in der Polizeipräfektur, wo er sich anmelden, seine Aufenthaltsbewilligung beantragen muss, stotternd mit seinen paar Wörtern. Und bei den maulenden Marktfrauen auf der Place de la Convention. Sie lungern dort herum, lauern ungeduldig auf den Marktschluss, um die Gemüseabfälle zusammenzuraffen.
Hände weg, die sind für meine Hasen! Hat euch einer eingeladen?
Zerrissene Kohlblätter, erfrorene Kartoffeln, welke Krautstiele, aus denen sie auf die Ewigkeit hinaus in einem großen gusseisernen Topf im Bienenstock ihre Suppe kochen. Einer von ihnen geht manchmal zu den Schlachthöfen hinüber, von wo nachts das Brüllen herüberkam, bettelt einen Knochen mit Mark, den sie in die Brühe tauchen, oder einen Klumpen rätselhafter gekräuselter Eingeweide. Bouillonbüchsen gibt es für zwei Sous, und wer eine hat und Geduld bis zum Marktschluss, der kann mehrere Tage überstehen. Chagall lehrt sie, wie man den Hering teilt, den Kopf für den ersten Tag, den Schwanz für den nächsten, und dazu Brotkrusten, ein Glas Tee.
Sie heißen Russenkolonie innerhalb des Bienenstocks. Archipenko, Lipchitz, Zadkine, Chagall, Dobrinsky, Kikoïne, Krémègne, Soutine. Auf das Signal
Dîner russe
kommen sie zum Festmahl zusammen. Auch die Franzosen werden manchmal eingeladen, selbst wenn sie Kubisten sind:
Léger, komm essen rrrrussische Küche.
Was war das merkwürdig zähe, faserige Fleisch, das in einem Topf stundenlang mit starkem, selbstgebranntem Wodkafusel gekocht wurde? Katzenfleisch, in kleinen Teilen, Katzenfrikassee. Göttliches Katzenfleisch. Es stank und es brannte in der Kehle. Keine Katze war sicher vor ihnen, sie fraßen das Viertel von Montparnasse bis zur Südperipherie leer. Und die Ratten und Mäuse, die sich im Bienenstock wohlfühlen, freuen sich über diese russischen
Dîners
. Nur eine Katze war tabu. Am Eingang zum Bienenstock wohnt Madame Segondet, die dicke kurzsichtige Concierge, die gutmütig ist und eine Schale Suppe herausreicht, wenn der Ankömmling ausgehungert aussieht. Ihr Mann nagelt Verschläge aus muffigen Brettern zusammen, aus denen auf dem Ödland von Vaugirard neue Ateliers entstehen. Ihre gescheckte Katze erfreut sich eines ewigen Lebens.
Mit Kiko arbeitet er nachts am Bahnhof Montparnasse, als Lastenträger für ein paar Sous. Sie laden ganze Wagenladungen mit Meeresfrüchten aus der Bretagne aus. Sie stinken nach Fisch, dass die Katze von Madame Segondet ihnen verliebt um die Beine streicht, wenn sie frühmorgens erschöpft in den Bienenstock zurückkommen. Sie malen Schilder für die Automobilausstellung, stellen sich bei Renault in Billancourt ans gefräßige Fließband.
Aber die Welt ist plötzlich gespalten. Generalmobilmachung. Weiße
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