Späte Familie
versperrt ist, die beiden einander widersprechenden Versionen liegen vor mir, und ich muss eine von ihnen auswählen, auch wenn ich nicht genug Fakten in der Hand habe, ich weiÃ, dass ich aufstehen, meinen Sohn rufen und weggehen sollte, dieses Gespräch ist ein Fehler, auch sie wird das bald herausfinden und vor mir zurückweichen, trotzdem warte ich, bis Keren sich in ihren schwarzen Lederhosen erhebt und sich entschuldigt, dass sie uns gestört hat, wir leugnen es natürlich, doch kaum hat sie sich entfernt, da frage ich zögernd, bist du sicher, dass er eine andere hat? Hat er es zugegeben? Und sie führt wieder die Serviette an ihre Augen, mit zitternden Lippen, und sagt, er braucht es gar nicht zuzugeben, sie lügen doch alle, warum sollte er es zugeben? Schau meine Mutter an, die ganzen Jahre misstraute sie meinem Vater, und er belog sie unaufhörlich, er versuchte ihr einzureden, sie sei verrückt, und sie hat ihm schon fast geglaubt, und auch als sie ihn einmal tatsächlich erwischt hat, sagte er, sie sei selbst schuld daran, sie habe ihn mit ihrer Verrücktheit dazu getrieben, und ich lausche erstaunt ihren Worten, die immer fieberhafter klingen undmich an den Streit erinnern, den ich durch ihre Tür gehört habe. Aber Michal, du musst doch unterscheiden zwischen deinem Vater und deinem Mann, wage ich zu sagen, beschütze den betrügerischen Ehemann, vielleicht ist das eine ganz andere Geschichte, doch ich schweige sofort, denn sie reagiert kalt, verlegen wegen ihres Ausbruchs, schlieÃlich sind wir keine Freundinnen, wir kennen einander kaum, wir schauen uns in misstrauischem Schweigen an, bis uns Geschrei an die Ohren dringt und beide Jungen auf uns zugelaufen kommen, mit einem Stock, den sie mit vier Händen umklammern.
Ich habe ihn gefunden, brüllt Jotam, der Stock gehört mir, und Gili jammert, ich habe ihn vor ihm gesehen, schau, was für ein groÃer Stock, habe ich zu ihm gesagt, ohne mich hätte er ihn überhaupt nicht entdeckt, und wir versuchen zu vermitteln, es gibt hier sicher noch so einen Stock, wir werden euch suchen helfen, aber beide weigern sich, jeder hat Angst, der Erste zu sein, der die Beute loslässt, und Michal droht, wenn ihr euch nicht einigt, beschlagnahme ich ihn, dann gehört er niemandem, wir lassen ihn hier, und damit hat sichâs, und schon verteilen wir uns im Park, den Blick zu Boden gerichtet, aber wir finden nur dünnes Reisig, und als wir die Suche ergebnislos beenden und mit leeren Händen zu der karierten Decke zurückkehren, schlägt Gili zögernd vor, vielleicht gehört er uns beiden, er kann ein Stock mit zwei Wohnungen sein, einen Teil der Zeit bei mir und einen Teil der Zeit bei dir, als hätten sich seine Eltern scheiden lassen. Jotam springt auf und schreit, damit bin ich nicht einverstanden, er gehört mir, er wird nur bei mir zu Hause sein, seine trockenen Lippen platzen fast erneut auf, ich ziehe Gili zur Seite, vielleicht gibst du nach, dränge ich, ich erkläre dir später, warum, gib nach und ich kauf dir etwas auf dem Heimweg, aber er weigert sich und fuchteltmit den Fäusten vor mir herum, nein, das tue ich nicht, ich habe ihn entdeckt.
Genug, ich frage dich nicht, sage ich, ich entscheide das jetzt, dann ziehe ich ihn hinter mir her, schenke ihnen ein angestrengtes Lächeln, Jotam, Gili lässt dir den Stock, verkünde ich trotz Gilis lautem Widerspruch, und zu ihr sage ich, ich muss los, sei stark, wir unterhalten uns noch, und sie flüstert, danke, beim nächsten Mal werde ich dafür sorgen, dass Jotam nachgibt, und ich antworte ihr im Stillen, wie soll es ein nächstes Mal geben, wenn ich voller Liebe zu deinem untreuen Ehemann bin, und als wir uns von ihnen entfernen, drehe ich mich noch einmal um und präge mir ihren Anblick ein, wie sie dort ratlos neben der karierten Tischdecke stehen, als hätten sie kein Zuhause, zwischen den Resten des Essens und den Resten des Streits, einen groÃen Stock in der Hand.
Gilis Weinen folgt mir zunehmend lauter, die ganze StraÃe scheint ihm zuzuhören, Rollläden werden hochgezogen, Fenster geöffnet, ein wütendes, keuchendes Weinen, als wir ihm von der Trennung erzählt haben, hat er nicht so geweint, auch nicht, als er von der Schaukel fiel und sich an der Lippe verletzt hat, noch nicht einmal, als das neue rote Auto vor seinen Augen überfahren worden ist, ausgerechnet der Verlust eines
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