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Späte Familie

Späte Familie

Titel: Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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und ich sage, na was wohl, wünsch mir Erfolg, und sie antwortet mit einem ernsten Lächeln, aber was in deinen Augen ein Erfolg ist, ist es nicht in meinen, und ich küsse sie auf die spröde Wange, genug, sei nicht so kleinlich, Dina, und sie sagt, ich wünsche dir viel Erfolg, Ellinka, ihre braunen, von dünnen roten Äderchen umrandeten Augen folgen mir besorgt, als ich mich entferne, ähnlich wie die Augen meiner Mutter mich freitagabends begleitet haben, wenn ich zu jenen Klassenpartys ging, von denen ich regelmäßig gedemütigt in ihre tröstenden Arme zurückkehrte.
    Wie aufregend und wie seltsam das ist, dass ich jetzt zurückkehre, nach zehn Jahren, mit schnellen kleinen Schritten, die an ihrem Glück zweifeln und denen es schwer fällt, zu glauben, dass er mich will, dieser große stolze Mann, der damals ausgerechnet mich zu sich einlud, um mir den Ausgrabungsbericht zu zeigen, an dem er schrieb, ich sollte meine Meinung dazu sagen, und ich bleibe einen Moment lang vor dem Gebäude stehen, in dem er damals gewohnt hat, in dieser voll gestopften Einzimmerwohnung voller Bücher und Keramikgegenstände und voller düsterer Radierungen des alten Jerusalem, eine Wohnung, erfüllt von seinem scharfen rauen Charme, wie gurrend er gelacht hat, als ich meine Anmerkungen formulierte, du bist keine Archäologin,hat er erstaunt gesagt, dich interessieren nur Märchen, was machst du überhaupt in unserer Abteilung, und damals hörten sich seine Worte an wie ein ausgefallenes Lob. Ich muss dich mal nach Thera mitnehmen, sagte er, kommst du mit mir? Und ich nickte glücklich, ich werde mit dir bis ans Ende der Welt gehen, bis hinunter in den Bauch der Erde werde ich dir folgen, ich setzte mich auf seine Knie und schaute dankbar in seine wunderschönen Augen, ich streichelte seine Hände, als hätte ich wirklich Tausende von Jahren unter einer Erdschicht gelegen, bedeckt von Lava, bis diese großen Hände kamen und mich von dort erretteten.
    Es ist schon kühl und dunkel an diesem Abend, und nur wenige Autos fahren an mir vorbei, eines verringert die Geschwindigkeit, ich meine eine Hand zu sehen, die mir grüßend zuwinkt, aber ich versuche nicht, zu erkennen, wer es ist, ich antworte nur mit einer beiläufigen Geste und versinke in den Stimmen, die durch das offene Fenster auf die Straße fliegen wie schwärmende Vögel, ich erlaube mir, in das Tischgebet einzustimmen, obwohl ich an dem Essen nicht teilnehme. Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden. Dann wird unser Mund voll Lachens und unsre Zunge voll Rühmens sein … Endlich sind die Feiertage vorbei, die mir dieses Jahr wie eine schwere Last vorgekommen sind, Feiertage ohne Eltern, ohne Familie, noch ein paar wacklige Laubhütten sind zurückgeblieben, schnell aufgebaut und noch nicht wieder entfernt, ihre vom Tau feuchten Decken verströmen einen satten Geruch nach Herbst, die Palmenzweige sind verwelkt, ich schaue in eine der leeren Hütten hinein, sorgfältig ausgeschnittene und zusammengeklebte Papiergirlanden rascheln im Wind, ein paar von ihnen winden sich schlangenartig zu meinen Füßen. Wann war das, vor einem Jahr oder zwei, als Gili uns gedrängt hat, auf dem Balkoneine Laubhütte zu bauen, Amnon hat sich geweigert, und schließlich stieg ich selbst auf das Geländer und versuchte, den Balkon mit Betttüchern zu bespannen, während er auf dem Sofa lag und las, gleichgültig gegenüber meinen Bemühungen, das ganze Fest über haben wir nicht miteinander gesprochen, zehn ganze Tage, und auch als wir uns endlich wieder versöhnten, hatte die Versöhnung einen bitteren Beigeschmack. Ich habe ihn nie gefragt, warum er sich eigentlich geweigert hat, warum fiel es ihm so schwer, dem Jungen eine Freude zu machen, vielleicht werde ich es heute Nacht herausfinden, ohne Vorwürfe und ohne Schuldzuweisungen, nur aus ehrlichem Interesse, werde ich sagen, es gibt so wenige Möglichkeiten, ihn glücklich zu machen, und sie gehen so schnell vorbei, es wird eine Zeit kommen, in der sein Glück nicht mehr von uns abhängt, wir werden hilflos vor seinem Schmerz stehen.
    Ich schleiche mich zwischen den beiden Palmen hindurch, als könnten sie ihre dünnen Arme nach mir ausstrecken und mir den Weg versperren, im Treppenhaus betrachte ich prüfend die Briefkästen, da ist sein Name, in

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