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Späte Familie

Späte Familie

Titel: Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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versprochene Morgen, dessen Flügel über mir schlagen, ohne dass ich es schaffe, mich an ihnen festzuhalten, ein langer Tag tut sich vor mir auf, wie eine Leiter, deren Spitze bis zu den Wolken reicht, und es gibt kein Morgen, ein langer Tag, an dem ich Gili Dutzende von Malen zur Schule bringen und von dort abholen muss, Dutzende von Abendessen bereiten, Dutzende von Badewannen füllen, Dutzende von Seiten schreiben, die Trauer Stunde um Stunde als harten Kloß in der Kehle zurückhalten, und auf den Abend warten, nicht um zu schlafen, sondern um aufzuhören, mich zu verstellen.
    Ella, das wird nicht von allein wieder gut, du brauchst Hilfe, sagt Dina, ich habe jemanden, der dir ein Medikament verschreibt, und in einem Monat bist du wieder du selbst, du brauchst es nur zu sagen, dann vereinbare ich für dich einen Termin, aber ich weigere mich sofort, wieso ein Medikament, ich bin nicht krank, ich bin einfach nur schockiert von dem, was ich getan habe. Du bist nicht schockiert, du leidest an einer Depression, sagt sie, und das ist kein Wunder, eine Trennung gehört zu den traumatischsten Erlebnissen, die es gibt, sie hat die Kraft einer Trauer, aber ohnederen Legitimation, du musst entweder eine Therapie anfangen oder Tabletten nehmen, am besten beides, zumindest für die nächsten Monate, und ich protestiere, wieso Tabletten, die können meine Realität nicht verändern, die bringen mir meine Familie nicht zurück, wenn ich ohne jeden Grund depressiv wäre, dann würde ich eine Behandlung brauchen, aber ich habe einen guten Grund für eine Depression, was beweist, dass ich völlig normal bin. Besorge mir Tabletten, die den alten Zustand wiederherstellen, und ich schlucke sofort eine ganze Schachtel, das verspreche ich ihr, aber da der Fehler, den ich gemacht habe, nicht rückgängig zu machen ist, was würde es mir dann helfen, und sie seufzt, es stimmt, Ella, diese Medikamente verändern nichts an deiner Realität, aber sie würden dir helfen, sie zu meistern, und das ist es, was du jetzt brauchst, ich habe es dir schon ein paarmal gesagt, ich bin überhaupt nicht sicher, dass du einen Fehler gemacht hast, und im Grunde deines Herzens bist du es auch nicht.
    Ich habe keinen Fehler gemacht? Wie kannst du so etwas sagen, ich bin erschüttert über diese ketzerischen Worte, schau doch, was ich hatte und was mir jetzt geblieben ist, ich hatte eine Familie, ich hatte einen Partner, der mich geliebt hat, mein Sohn hatte ein ordentliches Zuhause, schau doch, wie ich zerbreche, ohne diesen Rahmen, ich habe nicht gewusst, wie lebenswichtig er für mich war. Du lässt dich schon wieder hinreißen, sagt sie böse, ich kenne diese Verklärungen, die man in kritischen Situationen aufbaut, je weiter man sich von dem Geschehen entfernt, desto mehr verklärt man es, gleich wirst du mir erzählen, dass ihr König und Königin wart und in einem Schloss gewohnt habt, und ich unterbreche sie, erkläre mir, wie ich so blind sein konnte, es mag ja sein, dass ein Mensch seinen Partner nicht kennt, aber dass er sich selbst nicht kennt? Damit kann ich michnicht abfinden, ich war sicher, dass ich ohne ihn glücklich sein würde, dass ich jede Minute meiner Freiheit genießen würde, und schau nur, was passiert ist.
    Ich bekenne, dass auch ich von der Heftigkeit deiner Reaktion überrascht bin, sagt sie vorsichtig, setzt sich auf den Rand meines Bettes, aber hör auf, dich selbst zu verurteilen, solche Dinge kann man schwer voraussehen, wer weiß, welches alte Leid du berührt hast, du bist in ein Loch gefallen, das immer da war, auch wenn du von seiner Existenz nichts gewusst hast, wer weiß, an was du jetzt wirklich leidest. Ich leide an meiner Familie, sage ich, was ist daran so seltsam, warum muss ich nach weit entfernten Gründen suchen, wenn es doch einen nahe liegenden gibt? Und sie sagt, die Seele unterscheidet nicht zwischen nah und fern, du solltest das, was dir jetzt geschieht, von einem übergeordneten Blickwinkel aus betrachten, das ist es, was ich gern mit dir tun würde, wenn du einer Therapie bei mir zustimmst, und ich frage, hattest du schon einmal einen solchen Fall, dass eine Frau die Scheidung wollte und dann in eine solche Verzweiflung gestürzt ist?
    Natürlich, sagt sie, mehr als einmal, aber das ist im Allgemeinen ein vorübergehender Zustand, der weder auf die Vergangenheit noch auf die Zukunft gerichtet ist, das

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