Späte Familie
Amnon, erst in der Mitte seines Lebens, plötzlich aus seinem Ei geschlüpft.
Und das, während ich immer schwächer werde und mich immer weiter vom Leben entferne. Wenn ich zum Amt für Denkmalpflege gehe, um Post zu holen, wenn ich zur Bibliothek gehe, die einen Geruch nach Staub und Honig verströmt, treffe ich ab und zu, ohne dass ich es will, ein bekanntes Gesicht, es scheint, als trennte mich ein immer gröÃer werdender Riss vom Leben. Was ist mit dir, du bist nur noch ein Gerippe, man könnte dich glatt hier im Museumausstellen, sagen meine Kollegen, und ich lächle mit klappernden Zähnen.
Ja, das ist vermutlich die Lösung, zu schrumpfen und immer weniger zu werden, bis ich wieder ein Baby bin, wahllos Silben brabble und mit schwachen Beinchen strample, mein Vater und meine Mutter werden mich wieder aufnehmen, sie werden für alles sorgen, was ich brauche, wie es ihnen nur in den ersten Jahren gelungen ist, und das Erstaunlichste scheint mir zu sein, wie aus dieser geduldigen, hingebungsvollen Mutter, die ich einmal war, ein so bedauernswertes, einsames Kind werden konnte, angespannt, launisch und krank. Eine groÃe Schwäche trennt mich vom Leben, Schwindelanfälle, eine heftige Ãbelkeit, und es scheint, dass die einzige Brücke, die mich noch mit den anderen verbindet, der Junge ist, der sich auch immer mehr auflöst, wie Wachsflügel in der Sonne, denn es gibt Tage, da schaffe ich es noch nicht einmal, aus dem Bett aufzustehen, und dann bitte ich Amnon mit kraftloser Stimme, dass er Gili einen zusätzlichen Tag zu sich nimmt, und er stimmt sofort zu, mit einem geheimen Triumphschrei. Nun kommt die Wahrheit ans Licht, scheint seine Stimme zu sagen, jetzt wird man sehen, wer von uns beiden der bessere Elternteil ist, sechs Jahre lang hast du auf mich herabgesehen, und jetzt, in der Not, die du selbst herbeigeführt hast, funktionierst du nicht mehr, du verlierst dein Interesse an dem Kind, und ich, der ich immer als Rabenvater gegolten habe, als Egoist, bin nun derjenige, auf den man sich verlassen kann, und ich akzeptiere schweigend seine Sticheleien, es ist nur für eine kurze Zeit, versuche ich mich zu trösten, bestimmt geht es mir bald besser und alles wird wieder so sein wie früher. Dann werde ich ihn wieder bestaunen, werde mir gierig seine Geschichten anhören, wir werden wieder auf dem Teppich sitzen und Burgen bauen, diese Zeit mussnur vorbeigehen, sie wird ja nicht ewig andauern, und Gili selbst merkt es kaum, scheint mir, denn je einsamer ich werde, umso zahlreicher werden die Freunde, fast jeden Tag kommt ein anderes Kind zu ihm, und ich atme erleichtert auf, der doppelte Lärm erlaubt es mir, mich von ihm zurückzuziehen, ich muss mich ihm in den dunklen Nachmittagsstunden, wenn die Luft hart vor Kälte wird, nicht stellen, und wenn sein Freund weg ist, lasse ich schnell das Badewasser einlaufen, und danach wartet schon das Bett, das ihn bis zum Morgen festhält, nach einer Gutenachtgeschichte, die immer kürzer wird, wie die hellen Stunden in dieser Jahreszeit, und so schmilzt alles allmählich dahin, Tag um Tag, die Nähe, die zwischen uns geherrscht hat, die vollkommene Liebe, die mit ihrem Glanz alle anderen Formen der Liebe in den Schatten stellte.
Wenn er eingeschlafen ist, räume ich schnell das Geschirr vom Abendessen weg, verschlinge die Reste von seinem Teller, Reste von hartem Ei, Toast, und dann, nach einem leichten Zögern, esse ich auch die Reste vom Teller seines Freundes, schlieÃlich ist der Kühlschrank fast leer, im Gemüsefach ist das meiste vergammelt, die Milch ist sauer geworden, jeden Abend beschlieÃe ich, am nächsten Tag bestimmt einzukaufen und den Kühlschrank zu füllen, wie früher, aber dann schaffe ich es doch, ein weiteres Abendessen aus den kärglichen Resten zuzubereiten, und ich schaue mich erstaunt und verärgert um, betrachte die Blumen im Blumenkasten, die welke Köpfe hängen lassen, die faulenden Ãpfel in der Keramikschale, den tropfenden Wasserhahn, sogar die Katzen, die sich früher manchmal anschlichen, um nach etwas Essbarem zu suchen, kommen nicht mehr, als wäre die Wohnung verlassen, auf eine so unerwartete und unverständliche Weise hat die Trennung von Amnon alle Formen des Lebens in diesem Haus beendet.
Nein, ich habe nicht geahnt, dass die Dinge so aussehen würden, ab und zu blitzt vor meinem inneren Auge noch das neue Leben auf,
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