Späte Familie
brauche, ist sie krank geworden, ich werfe mich in der stillen Wohnung im Bett herum, der Computer ist schon seit vielen Tagen ausgeschaltet, auf dem Anrufbeantworter häufen sich die Nachrichten und werden am Abend gelöscht, ohne abgehört worden zu sein, ich schmiede Pläne für den Nachmittag, wer kann heute den Jungen abholen, ich will auf keinen Fall zur Schule gehen, vor den anderen Müttern stehen, während ich schon keine Mutter mehr bin, denn in dem Moment, als ich aufhörte, Amnons Frau zu sein, habe ich auch aufgehört, Mutter zu sein, ich bin zu einer Babysitterin geworden, die sich drückt, ich habe die Last der Verantwortung abgeworfen, also, heute wird Amnon ihn abholen und morgen meine Mutter und danach die Mutter von Ronen, von Itamar, und am Ende wird er mich nicht mehr erkennen, was hat Amnon damals zu ihm gesagt, in jener Nacht, in der ich im Badezimmer eingesperrt war, eine Frau, die du nicht kennst, die gleich wieder geht.
Wieder und wieder schlurfe ich durch die Wohnung, die immer leerer wird, gestern hat er seine letzten Sachen abgeholt, er hat die Bilder des alten Jerusalem von den Wänden genommen, die Zeugen unseres Familienlebens werden immer weniger, bald werde ich ohne Beweise zurückbleiben, niemand wird glauben, dass hier einmal drei Personen gelebt haben, so viele freie Stellen gibt es jetzt, in den Bücherregalen, in den Kleiderschränken, auf der Ablage im Badezimmer, sogar die Kuscheltiere wandern langsam in das schöne groÃe Zimmer, bald wird auch Gili von hier verschwinden, niemand wird glauben, dass hier einmal ein Kind gelebt hat, und dann werde ich nur mit dem Wenigen zurückbleiben, das wirklich mir gehört, und wer weiÃ, was das überhaupt ist. Ich habe mir alles nur eingebildet, wievergänglich war alles, wie flüchtig, nehmt euch in Acht, möchte ich den Menschen sagen, die unter meinem Fenster vorbeigehen, belügt euch nicht, ihr besitzt eigentlich nichts, ihr hattet nichts und ihr werdet nichts haben, nur eine kranke Seele, eines Morgens werdet ihr feststellen, dass dies euer ganzer Besitz ist, und ausgerechnet den könnt ihr nicht brauchen.
Manchmal kommt es mir vor, als kehrten meine Kräfte langsam tropfend zurück, und dann beschlieÃe ich, den Nachmittag mit dem Jungen zu verbringen, den ganzen Morgen bereite ich mich darauf vor, ich plane, wohin ich mit ihm gehen werde, was wir tun werden und wie ich meinen Zustand vor ihm verbergen könnte, ich ziehe mich an und mache mich zurecht, mein knöchernes, trockenes Lächeln knirscht mich im Spiegel an, aber dann stehe ich am Schultor, er kommt auf mich zugerannt, Mama, darf ich zu Ronen gehen? Und ich versuche ihn umzustimmen, Gili, wir haben schon so lange nichts mehr zusammen unternommen, komm, gehen wir zum Spielplatz, komm, schauen wir uns einen Film an, wie früher, und er verzieht das Gesicht, als hätte ich ihm mit einer Strafe gedroht, ach, Mama, du machst mir immer alles kaputt, ich habe es schon mit Ronen ausgemacht, und ich beobachte, wie er sich entfernt, sprudelnd und voller Energie, so anders als dieser bezaubernde, verträumte Junge, den ich einst hatte. Da ist Keren, Ronens schöne Mutter, sie macht ihnen die Tür ihres prächtigen Jeeps auf und sie springen hinein, winken mir höflich zu, und ich gehe mit letzter Kraft zum Rabenpark, sinke auf den feuchten Felsen, die Wolken um mich herum hängen tief und sind so dunkel wie die Büsche, die aus dem Gras wachsen, und ich finde einen kleinen Stock und grabe in der Erde, die wie das warme Fell eines wilden Tieres riecht, ich ziehe feuchte Zweige heraus, Steine, Glasscherben, undneben mir entsteht ein feuchter Erdhaufen, als wäre ich ein Maulwurf, ein kaputtes Haus werde ich dort finden und es wird mein Haus sein, die Knochen eines jungen Mädchens werde ich dort finden und sie wird meine Schwester sein.
Ich drücke meine Wange an den kalten Felsen, bald wird mein Abbild in ihn eingepresst sein, wie das Abbild des kleinen afrikanischen Affen auf einem Felsen an der Ostküste von Thera, was haben die Archäologen gestaunt, als sie erkannten, dass es sich nicht um ein gemaltes Bild handelt, sondern um das Skelett des Ãffchens selbst, mit einem beim Erdbeben zerbrochenen Schädel und bedeckt mit einer dicken Schicht Vulkanasche, ich schlieÃe die Augen, versuche, eine Decke über meinen Körper zu ziehen, und ohne dass ich es merke, finde ich mich
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