Späte Heimkehr
es normalerweise laut und fröhlich zuging, herrschte dort bedrückte Stille.
»Was ist denn hier los? Ist das die Ruhe vor dem Sturm?«, fragte Bob und drückte Gwen einen Kuss auf die Wange.
Sie legte das Schälmesser beiseite und wickelte die Gemüseabfälle in das Zeitungspapier, das sie untergelegt hatte. »So könnte man es auch nennen.« Mit gesenkter Stimme fügte sie hinzu: »Kevin hat erfahren, was mit Abby los ist. Jetzt müssen wir es den anderen wohl auch sagen.«
»Wie hat er es aufgenommen?«
»Sauer. Er füttert gerade die Hühner. Die Mädchen sind mit Brian auf ihrem Zimmer.«
»Und Abby?«
»Sitzt auf der Hintertreppe. Sie hat heute ihren ersten Brief von Barney bekommen. Die Arme vermisst ihn so sehr.«
»Tja, da werden wir nach dem Essen wohl besser eine Familiensitzung einberufen, was?«
Mr. Richards ging über die Veranda in die Laube, in der er schlief, und zog sich ein frisches Hemd an. Auf dem Rückweg sah er Abby auf den Stufen hocken. »Etwas dagegen, wenn ich mich zu dir setze? Ein schöner Platz, um in den Sternenhimmel zu gucken, hm. Wahrscheinlich auch gut zum Nachdenken.« Er blickte auf den Brief, den Abby in der Hand hielt.
»Stimmt. Aber Nachdenken ist eine Sache, Antworten zu finden ist wieder etwas ganz anderes.«
»Vielleicht. Man muss eben wissen, wo man danach suchen soll. Die Leute reisen hierhin und dorthin, und alle suchen sie nach etwas, obwohl es manchmal direkt vor ihrer Nase liegt.«
»Wie meinen Sie das?«
»Du musst vermutlich irgendeine Entscheidung treffen?«
»Die habe ich schon getroffen.«
»Ist es denn auch die richtige, Abby? Bevor du darauf antwortest, solltest du da nachsehen, wo sich alle Antworten finden lassen.«
»Und wo soll das sein?«
Er lächelte, als er ihre skeptische Miene sah. »Das Leben ist eine Reise, und auf der Suche nach sinnvollen Antworten legt man leicht ein langes Stück Weg zurück … möglicherweise liegt die Antwort am Ende einer Reise, die so lange dauert, wie das Licht der Sterne braucht, bis es bei uns angekommen ist.« Er schwieg, und beide blickten in den frühen Abendhimmel hinauf. »Aber sie könnte auch am Ende der kurzen Meile zu finden sein, die zwischen dem Gatter und diesem Haus liegt. Vielleicht ruht sie aber auch hier drin«, sagte er und deutete auf ihr Herz. »Du solltest dich auf die Reise in dein Inneres machen, Abby, und in dein Herz sehen. Da drin steckt nämlich dein ganzes Wesen, und dort findest du auch die Antwort, Abby. In deinem Herzen. Und nirgendwo sonst.« Er drückte ihr kurz die Hand, die Barneys Brief umklammert hielt, stand auf und ging ins Haus.
Nach dem Abendessen unterhielten Gwen und Bob sich ruhig und ohne Aufregung mit ihren Kindern, und Abby erzählte ihnen von dem Baby. Während die Mädchen vor Begeisterung in die Hände klatschten und Brian es ihnen gleich nachmachte, blieb Kevin mit versteinertem Gesicht an seinem Platz sitzen.
Abby legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Sieh mich nicht so sauer an, Kev. Ich möchte, dass du mich verstehst. Bitte, denk nicht, dass ich euch hängen lasse. Ich liebe Barney, und er liebt mich, das ist im Augenblick die Hauptsache.«
»Manchmal kommt es eben nicht so, wie wir es gern hätten. Aber selbst wenn man es nicht immer gleich sieht, das alles gehört zu Gottes großem Plan«, erklärte Gwen sanft.
»Aber die Leute sagen schreckliche Sachen über uns. Über Abby«, brach es aus ihm heraus. »Die anderen Kinder in der Schule und die Frauen in den Geschäften.«
»So ist das eben, mein Junge. Die Leute reden einfach, und dabei geht es immer um das Schlechte, nie um das Gute«, sagte Bob. »Fast alle haben ihre eigenen Schwächen, doch sie haben Vorurteile gegen andere und deren Art zu leben.«
»Wir kennen Abby, wir kennen unsere Familie, und wir wissen, was wahr ist. Wir haben einander, und das gibt uns Kraft«, fügte Gwen hinzu.
»Es ist wichtig für mich, dass du zu mir hältst, Kev«, erklärte Abby ihrem Bruder. »Und das wird nicht leicht sein. Einige Kinder in der Schule werden bestimmt schlimme Sachen sagen.«
»Wenn jemand etwas über dich sagt, haue ich ihn um«, versprach Kevin trotzig. »Mach dir keine Sorgen, Abby. Wir sind für dich da.«
»Danke, Kev.« Sie lächelte. Er sah seine schöne ältere Schwester voller Liebe an und war bereit, alles für sie zu tun.
»Das ist die richtige Einstellung«, lobte Bob.
»Fang bloß nicht an dich zu prügeln, Kevin. Beachte die anderen einfach nicht«, warnte Gwen. »Lass
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