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Späte Schuld

Späte Schuld

Titel: Späte Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kessler
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sich wieder Hoffnungen machte und glaubte, der Vergewaltiger würde bald geschnappt werden. Ich musste ihren niedergeschlagenen Gesichtsausdruck ertragen, als sie verstand, dass auf dem Foto nur ein Mann zu sehen war, der in seiner Jugend ein bisschen Ähnlichkeit mit ihrem Vergewaltigter gehabt hatte. Ich musste zusehen, wie ihr Gesicht sich vor Kummer verzog und sie in Tränen ausbrach. Wie ihr hübsches junges Gesicht sich völlig auflöste, als sie erkannte, dass der Vergewaltiger nun doch nicht geschnappt und bestraft werden würde. Das hat mir wieder in Erinnerung gerufen, dass der Mann, der mich vergewaltigt hat, auch nicht für sein Verbrechen bestraft wurde … weil ich im Gegensatz zu seinen anderen Opfern nie den Mut aufgebracht habe, mich vor Ablauf der Verjährungsfrist zu melden.«
    »Und da sind Sie auf die Idee gekommen, Claymore die Vergewaltigung unterzuschieben? Als Sie Bethel Newton mitgeteilt haben, dass der Mann auf dem Foto nicht der Vergewaltiger sein konnte?«
    »Als ich ihre Reaktion darauf gesehen habe.«
    »Gut, also als Sie ihre Reaktion darauf gesehen haben. Da haben Sie ihr eingeredet, die Vergewaltigung Claymore anzulasten?«
    »Ja. Das war meine Chance, ihn für das zu bestrafen, was er mir angetan hat.«
    »Sie haben Bethel benutzt. Sie haben sie manipuliert.«
    »Ich habe sie nicht manipuliert. Die Entscheidung hat sie selbst getroffen. Ich habe ihr nur erzählt, was mir damals passiert ist, und angedeutet, dass sie mir helfen könnte, meinen Vergewaltiger zu bestrafen. Und falls ihr Peiniger je geschnappt würde, könnte dann jemand anders helfen, ihn zu bestrafen. Aber ich habe sie nicht gezwungen. Sie wollte es so. Und ich dachte, dass es ihr guttun würde.«
    »Ihr? Oder Ihnen?«
    »Glauben Sie wirklich, Sie hätten das Recht, mir diese Frage zu stellen? Wissen Sie eigentlich, wie es ist, den Schmerz all die Jahre in sich hineinzufressen und zu wissen, dass der Mann, der für diesen Schmerz verantwortlich ist, nicht angemessen dafür bestraft wurde? Und dann mit ansehen zu müssen, wie ihn sein PR-Apparat vom Verbrecher zum Nationalhelden stilisiert? Wissen Sie, wie es ist, wenn man …« Sie brach endgültig zusammen und ließ ihren Tränen freien Lauf.
    Andi sah hilflos zu und begriff, dass sie zu weit gegangen war. Sie warf Claymore einen Seitenblick zu und fragte sich, ob es das wert gewesen war. Verdiente er ihre Hilfe wirklich? Und hatte es Gene verdient, auf diese Weise demontiert zu werden, nur damit Claymore einer Haftstrafe entging?
    Claymore machte sich immer kleiner auf seinem Stuhl und schien im Erdboden versinken zu wollen. Es war, als holte ihn nun doch die Scham über seine Schuld ein. Aber spielte das jetzt noch eine Rolle? Ist nicht irgendwann der Punkt erreicht, an dem es zu spät ist für Reue? An dem einem die eigenen Sünden nicht mehr vergeben werden können, egal wie viel Reue man empfindet oder zeigt?
    Andi wurde klar, dass das vielleicht auch auf sie selbst zutraf.
    Wie aus dem Nichts ertönte plötzlich die Stimme der Richterin und durchbrach das betroffene Schweigen mit einer Sanftheit, die der Situation angemessen erschien. »Hat die Verteidigung weitere Fragen?«
    »Nein, Euer Ehren.«
    »Mrs Jensen?«
    »Nein, Euer Ehren.«
    »Eigentlich müsste ich jetzt die sofortige Verhaftung der Zeugin anordnen, aber ich gehe davon aus, dass sich die Staatsanwaltschaft in Anbetracht der Umstände nachsichtig zeigt. Trifft das zu?«
    »Ja, Euer Ehren«, antwortete Nick Sinclair und erhob sich langsam von seinem Stuhl.
    »Dann entlasse ich hiermit die Zeugin aus dem Zeugenstand.«
    Weinend und auf zittrigen Beinen folgte Gene dem Gerichtsdiener aus dem Saal. Während ihr Schluchzen immer leiser wurde, bat Sarah Jensen, zur Richterbank kommen zu dürfen.
    »Bitte«, sagte die Richterin.
    Sarah, Nick, Andi und Alex traten nach vorn. Sarah Jensen ergriff das Wort: »Euer Ehren, ich möchte Miss Newton lieber nicht erneut in den Zeugenstand rufen. Wenn es für die letzte Zeugin schon so schwer war, können wir uns alle vorstellen, wie Bethel Newton damit zurechtkäme.«
    Richterin Wagner nickte. »Reicht es, wenn Sie sich mit Miss Newton unter vier Augen treffen, bevor wir die Klage für abgewiesen erklären?«, fragte sie.
    Sarah Jensen nickte und sagte dann: »Eine Frage ist allerdings noch offen, Euer Ehren. Die DNA. Ich weiß, dass die Wahrscheinlichkeit einer Übereinstimmung eins zu fünfhundert beträgt, aber in einigen Punkten gibt es trotzdem noch

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