Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Späte Schuld

Späte Schuld

Titel: Späte Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kessler
Vom Netzwerk:
bezeichnet wurde, schon als relevant erachtet wird, sollte sie nur in einer Form zugelassen werden, die auch die Vernehmung ihrer Quellen erforderlich macht.«
    »Da muss ich Ihnen widersprechen, Mrs Jensen«, sagte die Richterin. »Mir ist es wichtig, das Recht des Angeklagten auf einen fairen Prozess zu schützen, und dazu gehört eben auch, dass die Verteidigung die Aussagen dieser Zeugin durch derartige Fragen auf die Probe stellt.«
    Frustriert nahm Sarah Jensen wieder Platz. Andi hingegen fühlte sich von der Entscheidung der Richterin ermutigt und war fest entschlossen, ihren früheren Fauxpas bezüglich des Compton-Urteils wieder wettzumachen.
    »Miss Newton«, fuhr sie fort. »Können Sie sich vorstellen, warum fünfzehn Jungen sie einstimmig zum ›Flittchen des Jahres‹ gewählt haben könnten?«
    »Weil sie ein Haufen widerlicher Mistkerle sind!«, schrie sie und wurde von heftigem Schluchzen geschüttelt.
    »Aber trifft es denn nicht zu, Miss Newton, dass Sie bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung der Schule als Sklavin verkleidet waren?«
    »Ja«, sagte Bethel und heulte weiter. Sie war deutlich züchtiger bekleidet gewesen, als es die Menschen am Strand waren, aber vor Gericht klang alles ganz anders als in der Realität.
    »Und sind Sie bei einer anderen Veranstaltung nicht mal als Stripogramm aufgetreten?«
    »Das war ein Küssogramm !«
    Der ganze Gerichtssaal brach in Gelächter aus und machte Bethels Demütigung vollkommen.
    Am Anwaltstisch senkte Claymore den Blick und starrte auf die Tischkante, weil er das Schauspiel nicht länger ertragen konnte. Aber niemand achtete auf Claymore. Das Letzte, was Zuschauer und Geschworene von diesem Sitzungstag in Erinnerung behielten, war Bethel Newtons tränennasses, schamgerötetes Gesicht.
    Auch auf Andi achteten die Geschworenen nicht. Sonst hätten sie bemerkt, dass ihr ebenfalls Tränen übers Gesicht liefen.

Mittwoch, 19. August 2009 – 12.30 Uhr
    »Sie wissen aber schon, dass Orlando sie laut ihrer damaligen polizeilichen Aussage mit dem Ende eines Baseballschlägers bearbeitet hat?«
    Andi und Alex saßen im Auto und fuhren über die Bay Bridge zurück in die Kanzlei, um sich um den Papierkram zu kümmern. Die Atmosphäre zwischen ihnen war angespannt, und es hatte eisiges Schweigen geherrscht, bis Andi schließlich das Wort ergriffen hatte.
    »Weiß ich«, antwortete Alex betreten.
    »Und Sie wissen auch, dass Orlando sie zu sexuellen Handlungen gezwungen hat, indem er gedroht hat, ihr den Schädel einzuschlagen?«
    »Ich weiß, dass sie das behauptet hat«, erwiderte Alex, dessen Tonfall nicht verriet, wie er selbst darüber dachte.
    »Und Sie glauben wirklich, sie hat das alles nur erfunden?«, fragte Andi wütend.
    Alex zuckte mit den Schultern.
    Andi war nicht zu bremsen: »Ihnen ist aber klar, dass sich damals noch ein zweites Mädchen gemeldet hat, mit dem Orlando genauso umgesprungen ist?«
    »Ja.«
    »Laut deren Aussage hat er sie an den Haaren gezogen und wie eine Puppe behandelt, genau wie bei Bethel Newton.«
    »Und weiter?«
    »Er hat vor ihr damit herumgeprahlt, dass er noch mehr Mädchen vergewaltigt hat, und gedroht, ihr ›die Fresse zu polieren‹, wenn sie jemandem davon erzählt. Sie glauben doch nicht im Ernst, dass sich alle beidedas nur ausgedacht haben?«
    »Woher haben Sie diese ganzen Informationen?«, fragte Alex und warf ihr einen kurzen, abschätzenden Seitenblick zu.
    »Steht alles im Polizeibericht. Schade, dass Sie sich nicht die Mühe gemacht haben, ihn zu lesen.«
    Alex’ Gesicht blieb ausdruckslos. »Ich habe den Bericht gelesen«, sagte er kühl.
    Er hatte den Blick nach vorn auf die Straße gerichtet, aber als er beim Überholen kurz über die Schulter sah, entdeckte Andi die Spur eines verlegenen Lächelns auf seinem Gesicht.
    »Sie Mistkerl«, sagte sie kalt. Aus ihrer Stimme sprach weder Wut noch Leidenschaft, dafür klang sie zu ruhig, zu ausdruckslos.
    Das Gefühl, das sie empfand, war Ekel. Die Art von Ekel, die einen bei verschimmelten Essensresten überfällt. Sie wandte sich ab und starrte auf die Straße, unfähig, seinen Anblick noch länger zu ertragen.
    »Wir haben es hier mit einem jahrhundertealten Klischee zu tun«, erklärte Alex. »Der schwarze Mann als triebgesteuertes Raubtier, das weiße Frauen schändet. Diesem Klischee müssen wir mit allen Mitteln entgegenwirken – auch wenn das bedeutet, dass wir nicht immer fair spielen.«
    »Sie leben in der Vergangenheit, Alex. Dieses Klischee gibt

Weitere Kostenlose Bücher