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Späte Schuld

Späte Schuld

Titel: Späte Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kessler
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das Wort, da sie sich mit den technischen Aspekten besser auskannte.
    »Euer Ehren, es ist hinlänglich bekannt, dass sich Afroamerikaner seltener als Wähler registrieren lassen als europäischstämmige Amerikaner«, erklärte Andi. »Das versuchen die Bundesstaaten auszugleichen, indem sie zur Auswahl von Geschworenen auch die Führerscheinregister hinzuziehen. Der vorliegende Softwarefehler untergräbt diese Ausgleichmaßnahme und sorgt dafür, dass Afroamerikaner in Kandidatenpools, und somit in Jurys, unterrepräsentiert sind. Ein klarer Verstoß gegen den Sechsten und den Vierzehnten Zusatzartikel.«
    Richterin Wagner hob skeptisch eine Augenbraue und wandte sich an die Staatsanwälte. »Was haben Sie dazu zu sagen?«
    Sarah Jensen warf Sinclair einen Blick zu und gab ihm die Chance, sich zuerst zu Wort zu melden. Er nickte und sagte dann: »Ich verstehe die wesentlichen Punkte dieser Argumentation durchaus. Allerdings möchte ich die Verteidigung darauf hinweisen, dass das im Fünfzehnten Zusatzartikel erwähnte Recht der Bürger, sich als Wähler registrieren zu lassen, im Wahlrechtsgesetz von 1965 verankert wurde. Wenn einige Afroamerikaner dieses Recht nicht in Anspruch nehmen wollen, ist das allein ihre Entscheidung. Ich persönlich ermuntere jeden Bürger dazu, seine Rechte in Anspruch zu nehmen. Und man kann wohl mit Fug und Recht behaupten, dass die jüngeren politischen Ereignisse noch viel mehr Menschen dazu ermutigt haben. Allerdings leben wir in einem freien Land, in dem die Menschen nicht zu ihrem Glück gezwungen werden können. Wählen zu gehen ist Bürgerrecht, nicht Bürgerpflicht. Daher kann ich auch nicht erkennen, inwiefern die Inanspruchnahme oder Nichtinanspruchnahme des Wahlrechts das im Vierzehnten Zusatzartikel festgeschriebene Recht des Angeklagten auf Gleichbehandlung vor dem Gesetz verletzen sollte.«
    Nun mischte sich Alex doch in die Debatte ein. Wie weitreichend Andis Kenntnisse über Computer und Statistik auch waren, in verfassungsrechtlichen Belangen hatte er die Nase vorn. Verfassungsrecht war sein Spezialgebiet, also übernahm er es, der Richterin zu erklären, worum es ihnen ging: »Euer Ehren, ich möchte keineswegs abstreiten, dass die Nichtinanspruchnahme des Wahlrechts seitens einiger Afroamerikaner deren ganz persönliche Entscheidung ist. Das Gericht soll sich auch nicht mit dieser Entscheidung an sich befassen, sondern mit deren Auswirkungen, da sie auch eine Drittpartei betreffen, die keinerlei Einfluss darauf hat, nämlich den Angeklagten. Mag sein, dass es Bürger recht ist, wählen zu gehen, aber es ist Bürger pflicht , als Geschworener zu dienen. Und wenn gewisse Bevölkerungsteile nicht als Geschworene zur Verfügung stehen, ist das ein klarer Verstoß gegen die verfassungsmäßigen Rechte von Angeklagten.«
    Alex merkte, dass er seine Chancen gefährdete, indem er seine Argumentation im Plural formulierte. Dadurch lenkte er die Aufmerksamkeit der Richterin auf die Tatsache, dass ihr Urteil enorme Auswirkungen auf andere Fälle haben konnte. Also ging er schnell wieder zum Singular über: »Der Angeklagte hat Anspruch auf eine faire Beurteilung durch Geschworene, die einen echten Querschnitt der Gesamtbevölkerung darstellen. Schon allein deshalb dürfen Geschworene nicht aufgrund ihrer Hautfarbe abgelehnt werden. Es muss zumindest theoretisch die Möglichkeit bestehen, in einer Jury wenn schon nicht vollkommene ethnische Proportionalität, so doch zumindest ethnische Vielfalt vorzufinden. Tatsächlich lag genau diese Überlegung der Entscheidung zugrunde, neben Wählerlisten auch Führerscheinregister zur Auswahl von Geschworenen heranzuziehen. Da die Notwendigkeit dazu bereits anerkannt und gesetzlich festgeschrieben ist, wäre jeder Rückschritt ein großer Fehler.«
    Sobald Alex verstummt war, ergriff Sarah Jensen das Wort, um aus Alex’ Formulierungsfehler Profit zu schlagen: »Euer Ehren, ich möchte darauf hinweisen, dass ein Urteil, das dieser Argumentation folgt, gefährliche Auswirkungen hätte. Und zwar nicht nur auf schwebende Verfahren, sondern auch auf sämtliche Entscheidungen von Jurys, die mithilfe dieser …«
    »Dessen bin ich mir durchaus bewusst!«, fuhr Ellen Wagner sie wütend an. »Davon darf ich mich in meiner Entscheidungsfindung trotzdem nicht beeinflussen lassen.«
    Nick Sinclair beugte sich zögernd vor. »Euer Ehren, es gibt noch einen weiteren Punkt, der berücksichtigt werden muss.«
    »Und der wäre?«, fragte die

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