Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Späte Schuld

Späte Schuld

Titel: Späte Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kessler
Vom Netzwerk:
dass er Claymore entgangen war. Rasch versuchte er, sie zurück ins Boot zu holen: »Machen wir uns nichts vor. Wir haben da eine ziemlich heimtückische Form von Sabotage aufgedeckt.«
    »Ist Ihnen nie der Gedanke gekommen, dass Richterin Wagner vielleicht recht hat?«, fragte Andi. »Zumindest theo-retisch.«
    Claymore sah sie vorwurfsvoll an.
    Sie ließ sich nicht beirren: »Mir gefällt ihre Entscheidung genauso wenig wie Ihnen, aber juristisch gesehen ist ihr Urteil unanfechtbar. Sie hat an alles gedacht. Alles, was sie sagt, hat Hand und Fuß.«
    »Heißt das, dass wir nicht einmal in Berufung gehen können?«, fragte Claymore nervös.
    »Jedenfalls nicht zum jetzigen Zeitpunkt. Aber falls Sie schuldig gesprochen werden, können wir natürlich nach Prozessende Revision einlegen.«
    »Aber ich dachte, man kann manchmal schon während eines Prozesses in Berufung gehen – ich meine, wenn es wie in diesem Fall um wichtige verfassungsrechtliche Dinge geht.«
    Alex schmunzelte, weil ihm eine Zeile von Alexander Pope einfiel: Ein wenig Wissen ist ein gefährlich Ding.
    »Wenn es allein um die Rechtslage ginge, könnten wir das vielleicht. Aber diese Angelegenheit hat auch eine sachbezogene Dimension. Die Richterin hat darauf hingewiesen, dass wir nicht wissen, wer die Manipulation durchgeführt hat oder welches Motiv derjenige dafür hatte. Und da gibt es noch weitere Aspekte, die wir jetzt nicht im Detail ansprechen können. Fazit bleibt, dass unsere Begründung nicht ausreicht, um den Obersten Gerichtshof hinzuzuziehen.«
    »Und was ist mit dem Berufungsgericht? Ich meine, wenn die Richterin unrecht hat, was die Sachlage angeht, warum können wir dann nicht dagegen Berufung einlegen? Ich dachte, beim Berufungsgericht kann man jederzeit Berufung einlegen?«
    Wieder lächelte Alex nachsichtig. »Ja, aber erst nach dem Prozess. Wir müssen also abwarten – und hoffen, dass es gar nicht erst dazu kommt.«
    »Und was glaubst du ? Wird es dazu kommen?« Claymore konnte die Panik in seinen Augen nicht verbergen.
    »Das liegt im Ermessen der Geschworenen.«
    »Und wie stehen meine Chancen?«
    Alex schüttelte den Kopf. »Ich habe es schon vor langer Zeit aufgegeben, Urteile von Geschworenen vorhersagen zu wollen.«
    Claymore sah Andi an.
    »Ich weiß nicht, welche Entscheidung die Geschworenen tatsächlich treffen werden«, sagte sie zögernd. »Aber manchmal hat man so ein Bauchgefühl, das einem verrät, was die Geschworenen gerne entscheiden würden . Überraschungen erlebt man trotzdem immer wieder, zum Beispiel weil Geschworene plötzlich ihr Verantwortungsgefühl entdecken und allein nach Gesetzeslage entscheiden, auch wenn sie sich dabei unwohl fühlen.«
    »Und was sagt Ihnen Ihr Bauchgefühl in diesem Fall?«
    »Mein Bauchgefühl sagt mir, dass die Geschworenen Mitleid mit Bethel Newton haben. Anders ausgedrückt: Sie wollen ihr glauben.«
    »Was soll ich jetzt also tun?«, fragte Claymore nervös. »Von meiner Unschuldsbehauptung abrücken und plötzlich sagen, dass ich doch schuldig bin?«
    »Nein, natürlich nicht«, mischte sich Alex ein, der fest entschlossen war, weitere pessimistische Aussagen von Andi zu unterbinden. »Wir können immer noch gegen die Ablehnung unseres Antrags auf Klageabweisung in Berufung gehen. Aber Garantien gibt es natürlich keine.«
    »Worauf ich hinauswill«, fuhr Andi unbeirrt fort, »ist, dass sie ihr glauben wollen, weil sie ihre Aussage gehört haben. Deshalb haben sie Mitleid mit ihr. Weil sie mit eigenen Augen gesehen haben, dass sie menschlich ist … und verletzlich. Sie wollen sie beschützen, weil sie ihre Tochter sein könnte. Wen die Geschworenen bisher noch nicht erlebt haben, sind Sie, Claymore. Sie kennen Ihre menschliche Seite nicht. Bis jetzt sind Sie nur der Mann, vor dem sie insgeheim Angst haben. Ja, ich weiß schon, dass Sie die ganze Zeit neben mir saßen und deshalb sanfter und weniger bedrohlich wirken. Aber richtig kennengelernt haben die Geschworenen Sie noch nicht.«
    »Sie kennen mich doch aus dem Fernsehen.«
    »Ja, aber im Fernsehen sind Sie mächtig und stark. Natürlich sind Sie dort einer von den Guten – weil Sie für Recht und Ordnung eintreten und so weiter. Aber die Leute fragen sich, ob das wirklich Sie sind. Oder sind Sie vielleicht der wütende junge Mann von vor dreißig Jahren? Das bösartige Raubtier, das heute wieder Jagd auf ihre Töchter macht?«
    »Die einzige Möglichkeit, ihnen zu zeigen, dass ich ein Mensch bin, besteht also darin

Weitere Kostenlose Bücher