Späte Sühne - Island-Krimi
Arngrímur hinzu: »Die Stadtrundfahrten für Touristen führen hier entlang, und ich habe gehört, dass einige Stadtführer uns die IKEA -Botschaften nennen.«
Birkir betrachtete das kupferne Band. »Wäre es denkbar, dass da jemand drübergeklettert ist?«, fragte er.
»Wohl kaum«, antwortete Arngrímur. »Die Überwachung ist sehr streng. Soweit ich weiß, fliegt noch nicht einmal ein Vogel hier unbemerkt hinein.«
Birkir schaute auf das Haus, das ihnen direkt gegenüber lag.
»Das ist die dänische Botschaft«, sagte Arngrímur. »Sie ist zum Schutz vor der Sonne mit perforierten Edelstahlplatten verkleidet.«
Beim Weitergehen deutete Arngrímur nach rechts. »Dem gleichen Zweck dienen beim finnischen Gebäude die Lärchenholz-Paneele«, sagte er.
Birkir betrachtete die Paneele mit den starken Querträgern, die das Gebäude beinahe vollständig abschirmten. »Es liegt auf der Hand, dass jeder Staat landestypische Elemente eingebracht hat«, sagte er. »Ich würde allerdings ungern da jedes Jahr das ganze Holz beizen wollen.«
»Ich glaube, das erübrigt sich bei Lärchenholz«, entgegnete Arngrímur. »Aber es stimmt, alle Gebäude haben ihr eigenes Gepräge.«
Sie standen jetzt vor einer riesigen Granitplatte, die Teil der Fassade des nächsten Gebäudes war.
»Das ist die norwegische Botschaft«, sagte Arngrímur. »Der Granitblock wurde in einem Stück aus Norwegen importiert. Die Platte ist über vierzehn Meter hoch, fünf Meter breit und bis zu siebzig Zentimeter dick. Sie wiegt ungefähr einhundertzwanzig Tonnen. Es war wohl ein nicht ganz leichtes Unterfangen, diesen Brocken heil hierher zu schaffen.«
Birkir trat näher an den Granitklotz heran. »Ist er früher schon einmal hier gewesen?«, fragte er.
»Wie bitte?«
»Anton Eiríksson.«
»Ach so der. Nein, wahrscheinlich ist er nie zuvor in der Botschaft gewesen. Konráð sagte mir gestern, dass er nur einige Male in die Residenz gekommen ist. Er wollte sich wohl gern das Botschaftsgebäude ansehen, als sich am Sonntag die Gelegenheit dazu ergab.«
»Du hast ihn also vorher nie getroffen?«
»Nein, nicht zu Lebzeiten, sondern nur dieses eine Mal, als ich ihn tot aufgefunden habe.«
Ein nicht sehr großer, älterer Mann und ein jüngerer kamen aus der isländischen Botschaft. Arngrímur verneigte sich, als sie sich begegneten, und die beiden anderen taten es ihm im Vorbeigehen nach.
»Das ist der argentinische Botschafter. Er ist im Augenblick der Doyen«, sagte Arngrímur, als die beiden Männer im Felleshus verschwunden waren.
»Was bedeutet das?«
»Er hat die längste Dienstzeit aller Botschafter in Berlin und ist deswegen ihr Wortführer und Vertreter gegenüber der deutschen Regierung. Sein Besuch galt Konráð, um ihm wegen der tragischen Ereignisse in unserem Haus seine Anteilnahme auszusprechen.«
»Ist das eine wichtige Position?«
»Das kann sie manchmal sein. Das Dienstalter ist sehr wichtig, denn es ist die Grundlage für eine Rangordnung, die bei allen offiziellen Anlässen eine Rolle spielt.«
»Muss es so eine Rangordnung geben?«
»Mein Gott, ja. Das ist eine uralte Tradition. Früher stellte die Sitzordnung immer ein Problem dar, wenn die Gesandten anderer Länder zusammenkamen. Sie haben sich ständig darüber gestritten, in welcher Reihenfolge sie bei offiziellen Anlässen auftreten sollten.«
»Hätte nicht die alphabetische Reihenfolge genügt?«, fragte Birkir.
»Nein, nein. Das war sehr wichtig. Papst Julius der Zweite versuchte schon 1504, die Vertreter der Länder in eine Rangordnung zu bringen. Das Heilige Römische Reich kam zuerst, dann Frankreich, dann Spanien. Das hat sich in irgendeiner Form so bis ins achtzehnte Jahrhundert gehalten, aber durch die Wirrungen und Änderungen der Napoleonischen Kriege mussten sich beim Wiener Kongress, wo ja Europa neu geordnet werden sollte, die Kutscher der Botschafter um die Plätze für ihre Leute duellieren. Da hat man sich darauf geeinigt, die Botschafter rangmäßig nach der jeweiligen Dienstzeit in ihrer Position einzustufen. Wer am längsten an einem Ort akkreditiert ist, wird Wortführer der anderen.«
»Und das hat sich bewährt?«
»Generell ja. Aber es kann natürlich auch zu peinlichen Situationen kommen, wie zum Beispiel, als der Botschafter dieser schrecklichen Somoza-Regierung in Nicaragua einige Jahre der rangälteste Botschafter in Washington war. Aber dieses System ist auf jeden Fall besser, als wenn die Kutscher oder Chauffeure den Kampf um
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