Späte Sühne - Island-Krimi
kommen, nachdem Birkir nach einiger Suche endlich eine Telefonnummer ausfindig gemacht hatte, unter der Helgi zu erreichen war. Helgi war mit Hauptwohnsitz in Seyðisfjörður registriert, und es bestand einige Ungewissheit in Bezug auf seine Adresse in Reykjavík.
Gunnar erwartete ihn im Eingangsbereich und führte ihn in die Abteilung für Gewaltverbrechen. Er hatte inzwischen bereits einige Übung im Umgang mit den Krücken erlangt und konnte sich relativ schnell fortbewegen.
»Hast du’s im Rücken?«, fragte Helgi teilnahmsvoll.
»Ja«, antwortete Gunnar, »und außerdem habe ich eine widerliche Erkältung. Aber Mordermittlung ist Mordermittlung. Dieser Fall muss gelöst werden, auch wenn man nicht ganz auf dem Damm ist.«
»Das stimmt wahrscheinlich«, sagte Helgi, der den Eindruck eines zuvorkommenden, zurückhaltenden Menschen machte. Der braungebrannte Teint täuschte nicht darüber hinweg, dass seine Gesichtszüge verlebt waren. Die Stirn war von tiefen Falten zerfurcht, und die Wangen waren vernarbt. In seinen jüngeren Jahren hatte dieser Mann bestimmt ein exzessives Leben geführt, doch davon schien er sich einigermaßen erholt zu haben. Er trug einen braunen, seltsam altmodisch geschnittenen Anzug, und die Kopfbedeckung bestand aus einer ausladenden Wollmütze mit Schirm.
Gunnar ging vor Helgi in den Vernehmungsraum, wo die beiden Kerzenleuchter aus der Botschaft auf dem Tisch standen. Er schaltete das Diktafon ein und sprach Ort und Zeit und ihre Namen auf das Band. Dann fuhr er den Laptop auf dem Tisch hoch und öffnete eine Datei mit Notizen.
»Als ich diese Objekte zuletzt sah, befanden sie sich in der Botschaft in Berlin«, sagte Helgi und betrachtete die Leuchter. Er setzte sich und nahm seine Mütze ab. »Ich nannte sie seinerzeit Sonnenleuchter.«
Gunnar nickte. »Das stimmt. Sie standen im Büro des Botschafters, wo der Mord begangen wurde«, sagte er. »Wir mussten sie nach Island schaffen, um sie besser untersuchen zu können.«
Helgis Augenbrauen hoben sich. »Ach, wirklich? Ich verstehe nicht, wieso«, sagte er. »Es wird aber hoffentlich möglich sein, sie rechtzeitig zur Ausstellung wieder nach Berlin zu schicken. Sie dokumentieren eine bestimmte künstlerische Schaffensperiode in meinem Leben, für die es nicht so viele andere Beispiele gibt.«
»Hoffen wir, dass diese Angelegenheit rechtzeitig zum Abschluss gebracht werden kann«, sagte Gunnar und kam dann zur Sache. »Du warst Gast bei der Einladung des Botschafters. Was kannst du mir über diesen Abend sagen?«
»Da gibt’s nicht viel zu sagen«, erklärte Helgi. »Lúðvík Bjarnason und ich waren in Berlin, um die Ausstellung vorzubereiten, die im Januar eröffnet werden soll. Wir haben uns die Räumlichkeiten angesehen und die Gestaltung konzipiert. Wir hatten einen Termin mit dem Botschaftsrat, aber der war unvorhergesehenerweise verhindert, deswegen wollte der Botschafter selber mit uns reden. Er lud uns zu der Lesung von Jón Sváfnisson ins Felleshus ein. Das passte gut, denn die Ausstellungsräume befinden sich oberhalb des Auditoriums, und während der Pause bei der Lesung gingen die Gäste nach oben und sahen sich die finnische Glasausstellung an, die jetzt dort gezeigt wird. Es ist hervorragend, solche Räume in Augenschein zu nehmen, wenn dort viele Menschen sind. Man kann sich dann eine bessere Vorstellung davon machen, wie man die Objekte am besten präsentiert, damit sie Wirkung erzielen. Wir haben Fotos gemacht und skizziert, wie die Leute sich in den Räumlichkeiten bewegten.«
»Aber dann bliebt ihr noch länger in der Botschaft, nicht wahr?«
»Ja, es war vereinbart, dass wir mit dem Botschafter in die isländische Botschaft gehen sollten, und Lúðvík beabsichtigte, ein Foto mit dem Botschafter und mir und diesen Objekten zu machen. Der Botschaftsrat, mit dem wir über die finanziellen Dinge und anderes Organisatorische sprechen wollten, konnte jedoch nicht kommen, wie ich dir vorhin gesagt habe.«
»Wozu sollte das Foto gemacht werden?«
»Es ging darum, mit der PR-Arbeit zu beginnen. So wie die Dinge im Augenblick stehen, ist es bestimmt besser, damit noch zu warten.«
»Kann man an diese Fotos herankommen?«
»Ja. Ich war sogar so vorausschauend, sie mitzubringen. Lúðvík hat an dem Abend viel fotografiert, und ich war mir ziemlich sicher, dass ihr euch für diese Bilder interessieren würdet.«
Helgi holte einen USB -Stick aus der Tasche.
»Ich wäre dankbar, wenn du mir den wiedergeben
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