Späte Sühne - Island-Krimi
hatte eine schmale Nase, einen wohlgeformten Mund und ebenmäßige Zähne. Die Augen waren braun. Er hielt sich sehr gerade und bewegte sich elegant.
»Ich habe mit deinem Freund hier über euren Besuch in Berlin gesprochen«, sagte Birkir.
»Du meinst mit meinem Mann«, sagte Unnar.
»Ja, Starkaður«, sagte Birkir und sah von einem zum anderen.
»Starkaður ist mein Mann«, sagte Unnar. »Wir sind verheiratet.«
»Na gut. Also, Starkaður, dein Mann, hat mir gesagt, dass ihr Anton Eiríksson in der Botschaft getroffen habt, und zwar an dem Abend, als er starb.«
»Ja. Der Botschafter war der Meinung, dass ich mir seine Geschäftsverbindungen für die Herstellung meiner Couture zunutze machen könnte.«
»Wäre das möglich gewesen?«
»Nein, das kam überhaupt nicht in Frage.«
»Weshalb nicht?«
»Anton war ein Ausbeuter der schlimmsten Art, ein regelrechter Sklavenhändler. Seine Geschäfte beruhten darauf, sich an Produktionsfirmen zu wenden, um ihnen anzubieten, einen billigeren Hersteller zu finden. Er hat sich damit gebrüstet, dass es nichts gäbe, was er nicht für die Hälfte des derzeitigen Herstellungspreises produzieren lassen könnte.«
»Ist das angesichts der Globalisierung ungewöhnlich?«
»Ja, das ist es in der Tat, denn dieser Anton schnüffelte die armseligsten Großstadtviertel in Asien heraus, wo es keinerlei Kontrolle gibt, weder was Kinderarbeit betrifft noch generell die Rechte von Arbeitern. Er konnte unter Umständen sogar bei bekannten Designern vorstellig werden und ihnen fertig verarbeitete Erzeugnisse präsentieren, exakte Kopien von deren Produktion, dasselbe Material, dasselbe Finishing, und sogar mit demselben Label. Das bot er ihnen dann zur Hälfte des Preises an, den sie ihren eigenen Herstellern dafür bezahlen. Er ließ dabei auch einfließen, dass diese Ware mit oder ohne ihre Zustimmung auf den Markt gehen würde. Die meisten haben ihn selbstverständlich vor die Tür gesetzt, doch einige Spekulanten haben sich vermutlich mit ihm arrangiert.«
»War er auf Textilien spezialisiert?«
»Nein. Er hatte überall seine Finger drin. Er war immer auf der Suche nach Produktionsstätten, an denen Menschen zu guten Arbeitsbedingungen und menschenwürdigen Löhnen arbeiteten, besorgte sich die Produkte und ließ sie in irgendwelchen Sklavenpferchen nacharbeiten. Und dann tauchte er bei dem Unternehmen auf, das die Ware produzierte, und bot sie ihnen zum halben Preis an. Es brauchte gar nicht viele derartige Verträge, um einträgliche Einkünfte zu haben.«
»Woher weißt du das alles?«, fragte Birkir.
»In meiner Branche ist das ein sehr bekanntes Phänomen«, antwortete Unnar. »Und so etwas spricht sich schnell herum. Anton war einer der Schlimmsten in diesem Metier, vollkommen skrupellos. Sein Tod ist kein Schaden für die Welt.«
»Weißt du vielleicht etwas, was uns bei der Ermittlung weiterhelfen könnte?«
»Nein. Und selbst wenn ich Zeuge von etwas geworden wäre, hätte ich es ganz schnell verdrängt. Ich bin nicht dafür, dass Leute umgebracht werden, auch wenn sie in meinen Augen das personifizierte Böse sind. Doch wenn es passiert, will ich nicht lange darüber nachdenken, sondern es so schnell wie möglich vergessen.«
»Wie kam es eigentlich, dass ihr an diesem Tag zu Gast in der Botschaft wart?«
»Der Botschafter wusste, dass wir in Berlin waren, und hat uns zu der Lesung eingeladen. Und dann hat er uns gebeten, anschließend noch ein wenig zu bleiben, weil er etwas mit uns zu besprechen hatte. Anscheinend ging es darum, uns mit diesem Anton zusammenzubringen. Der Botschafter wusste natürlich nicht, dass Anton kein Unbekannter für uns war. Doch da war es zu spät, um sich zurückzuziehen. Wir mussten der Einladung des Botschafters Folge leisten.«
»Starkaður und du, wart ihr in der Botschaft die ganze Zeit zusammen?«
»Ja, wir haben den ganzen Abend nebeneinander gesessen.«
»Ihr seid nicht irgendwann mal getrennt auf die Toilette gegangen?«
»Nein, immer zusammen.«
Starkaður bestätigte das durch ein Kopfnicken.
»Im Zuge der Ermittlung müsste ich Finger- und Handflächenabdrücke von euch nehmen. Seid ihr damit einverstanden?«
Starkaður und Unnar sahen sich an und schüttelten beide den Kopf.
»Da müssen wir erst mit unserem Rechtsberater sprechen, bevor wir dem zustimmen können. Wir haben keine guten Erfahrungen mit eurem System.«
13:00
Helgi Kárason hatte sich morgens bereit erklärt, zur Vernehmung ins Dezernat zu
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