Später Frost: Der erste Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)
Wollte ein israelischer Extremist das zu Ende bringen, was 1948 nur teilweise gelungen war, die UN – Delegation auslöschen? Aber was sollte das für einen Sinn haben? Wennerberg war doch die Figur gewesen, um die es damals ging; Wennerberg war der Diplomat mit dem politischen Einfluss, Larsson war nur sein Sekretär, sein Laufbursche gewesen.
Oder hatte das Ganze überhaupt nichts mit Konzentrationslagern oder Larssons Zeit in Israel zu tun? War der Würfel nur Zufall oder eine falsche Fährte? Oder hatte er eine ganz andere Bedeutung, die Forss nicht verstand, weil sie zu wenig über Larssons Leben in Schweden nach 1948 wusste?
Sie dachte nach. Eine Schachfigur aus Papier, ein Turm. Schach, das war das Spiel der Könige, so sagte man. Hatte Nyström nicht irgendetwas von einem schwulen schwedischen König erzählt? Von Gerüchten über die Vertuschung einer Affäre? Irgendetwas, was dieser Schriftsteller, Vilhelm Moberg, aufgedeckt hatte? Ging es nicht um einen Kriminellen, der den Königshof erpresst haben sollte? Haijby, oder so ähnlich. Verdammt, sie hatte nicht richtig zugehört. Konnte es tatsächlich eine Verbindung zwischen Larsson und dem schwedischen König Gustaf V. geben? Eine homosexuelle Verbindung ins Königshaus? Erklärte das die harsche Reaktion von Hildegard Hedingks? Die Intervention von Nyströms Vorgesetzten und dem ominösen Beamten aus Stockholm? War es das, wofür dieser Schachturm stand?
Forss stöhnte auf. Das war alles zu weit hergeholt, konstruiert und Fantasie. Wilde Assoziationen zu einem Schachturm aus Papier. Aber dann fiel ihr etwas Handfestes ein. Sie bekam eine Gänsehaut. Es hatte doch etwas mit Hildegard Hedingks zu tun: Die alte Frau hatte davon gesprochen, in dem Wintergarten am Sund, hatte Ingrid Nyström von ihrem Ehemann erzählt, dem unglücklichen Norweger, Erik Hedingks.
Davon, dass er im Widerstand gewesen sei und die Zeit in den Gefangenenlagern nie verkraftet habe. Forss hatte das Foto in der oberen Etage des Anwesens gefunden, da, wo die Munch-Bilder gehangen hatten und Henrik Larssons präparierte Schmetterlinge. Die junge Hildegard Hedingks mit einem vielleicht zehnjährigen Jungen an der Seite: eine Mutter und ihr Sohn. Der Junge hatte einen Pokal in der Hand gehabt und in der anderen Hand ein Schachbrett. Schach und Konzentrationslager. Konnte das sein? Wie hatte der Junge gleich geheißen? Walter Hedingks? Und warum um alles in der Welt hatten sie ihn bis jetzt noch nicht verhört? Sofort fummelte sie ihr Handy aus der Hosentasche.
10
Delgado hatte erst spät Dienst und trotzdem verschlafen. Verdammtes World Of Warcraft ! Er verstümmelte sein Frühstück zu einem einminütigen Gewaltakt. Es bestand aus zwei Handvoll Cornflakes, die er sich in den Mund stopfte, und einer halben Tüte Milch, die er hinterhertrank. Dabei liebte Delgado eigentlich sein Frühstück: selbst gemahlener Kaffee, Brot mit Rohmilchkäse, Vanillejoghurt und den Sportteil der Zeitung. Das fiel heute alles weg. Das Rasieren musste ausfallen, und statt sich die Zähne zu putzen, würde er ein Kaugummi kauen. Zwanzig Minuten Kaugummi sind wie einmal Zähneputzen, hatte er mal irgendwo gelesen, wahrscheinlich in einer Kaugummiannonce. Schnell noch den Deoroller, dann nichts wie raus zum Bus.
Das Gefühl, zu spät dran zu sein, zog sich durch den Tag. Als er beim Präsidium eintraf, stürzten ihm auf der Treppe Nyström, Knutsson und Lindholm entgegen. Die drei waren in höchster Eile und machten sich nicht einmal die Mühe, stehen zu bleiben. Er verstand nur so viel, dass Knutsson etwas von »Durchbruch« und »Taxifahrer« schnaufte. Auf seine den dreien hinterhergerufene Frage, ob er mitkommen solle, winkte Nyström ab. Dann war das Stoßkommando durch die Türe verschwunden. Achselzuckend ging Delgado die Treppe hoch in den vierten Stock. In der Kaffeeküche traf er auf Hultin.
»Der Taxifahrer?«, fragte er. »Dieser Dohuk?«
»Möglicherweise«, antwortete Hultin. »Auf jeden Fall hat er nicht die Wahrheit erzählt. Lars ist darauf gekommen. Aber du rätst im Leben nicht, wie!«
»Hat er eine Liste mit Namen gemacht und gependelt?«, flachste Delgado.
Hultin lachte.
»Nein, noch besser. Er hat die Daten von dem Mobilfunkquadranten draußen in Ramnåsa überprüft!«
»Unser Lasse? Bist du sicher? Ich hätte darauf gewettet, dass er noch nicht einmal weiß, was ein Mobilfunkquadrant ist.«
»Tja, da haben wir uns wohl alle ein bisschen in ihm getäuscht. Und er ist
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