Später Frost: Der erste Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)
Fenster. Er fand, wonach er gesucht hatte. Er roch lange und intensiv an dem kupferfarbenen BH und dem dazu passenden Slip, bevor er beides in die Tasche seiner fleckigen Wachstuchjacke stopfte.
17
Forss wollte mehr über das Falten von Schachfiguren erfahren, über das Schachspielen in den Konzentrationslagern. Sie fand, dass es einen Versuch wert war. Sie hatte im Internetcafé fünf Jerusalemer Schachclubs und ein Schachcafé gefunden und damit begonnen, die Vereine durchzutelefonieren. Zwei schieden von vornherein aus, weil auf ihren Websites stand, dass sie montags keine Clubabende hatten. Beim dritten Club nahm jemand ab, der nur Hebräisch sprach und sie nicht verstand. Beim vierten Club wurde aufgelegt, als sie auf Englisch ihr Anliegen erklärte. Beim fünften Verein ging niemand ans Telefon. Blieb noch das Schachcafé übrig. Forss fuhr mit einem Taxi hin.
Das Café lag in einer Seitenstraße in der Nähe des jüdisch-orthodoxen Stadtteils Mea Shearim, und ohne die Hilfe des Taxifahrers hätte Forss das Schild mit hebräischer Aufschrift über einer unscheinbaren Tür übersehen. Sie trat zögerlich ein. Es war nicht direkt das, was sie sich unter einem Café vorgestellt hatte. Sie fand einen großen, schlecht beleuchteten Raum vor, in dem etwa ein Dutzend Tische und doppelt so viele Stühle standen. An dreien dieser Tische saßen sich Männer beim Schachspiel gegenüber, an einem vierten Tisch saß ein einzelner Mann und war in eine Zeitung vertieft. Frauen gab es hier nicht, und irgendwie wirkte es so, als hätte es hier auch nie welche gegeben. Einen Tresen oder sonst etwas, das auf einen gastronomischen Betrieb verwiesen hätte, gab es ebenfalls nicht. Forss fühlte sich an die Atmosphäre türkischer Kulturvereine in Kreuzberg erinnert, nur dass an der vertäfelten Wand keine rote Fahne mit Halbmond hing, sondern eine weiße mit einem blauen Davidstern darauf. Daneben hingen vergilbte Wimpel. Zwei Männer sahen kurz auf, als sie den Raum betrat, sonst schien niemand Notiz von ihr zu nehmen, Frau hin oder her. Forss ging einige Schritte in den Raum hinein. Die Männer an den Tischen erschienen ihr alle uralt, von denen sah niemand aus, als würde er Englisch sprechen.
Sie versuchte es trotzdem. Sie fummelte die Abbildung der gefalteten Schachfiguren, die sie aus dem Ausstellungskatalog gerissen hatte, aus der hinteren Hosentasche ihrer Jeans und hielt sich das Bild vor die Brust.
»Entschuldigung«, sagte sie. »Kennt das hier jemand?«
Sie drehte sich mit dem Bild in der Hand im Halbkreis. Selten hatte sie sich so unwohl gefühlt. Vielleicht ist es auch völlig falsch, was ich hier mache, dachte sie. Wenn irgendjemand diese Figuren aus eigener Erfahrung kennt, will er wahrscheinlich nicht daran erinnert werden. Noch dazu von einer Deutschen. Halbdeutschen.
Die Schachspieler sahen für einen Moment hoch oder wandten sich für einen Augenblick um, der Zeitungsleser ließ seine Zeitung sinken. Forss spürte den Schweiß in ihrem Nacken. Jetzt lief ihr ein Tropfen den Rücken hinunter. Ein kurzes, leises Murmeln kam auf, einer der Männer schüttelte sachte den Kopf. Dann war der Augenblick vorüber. Die Schachspieler wandten sich wieder ihren Brettern zu. Forss war wieder Luft. Sie seufzte. Wahrscheinlich war es besser so.
»Schade, trotzdem vielen Dank«, sagte sie.
Dann drehte sie sich um und ging auf die Tür zu.
»Warten Sie einmal«, rief da eine Stimme. Auf Deutsch. Überrascht wandte sich Forss erneut um.
»Steht da wirklich Reinickendorfer Füchse auf deiner Jacke?« Es war der Zeitungsleser, der gerufen hatte. Forss nickte eifrig. Der Mann winkte sie heran.
»Komm, komm und setz dich für einen Moment zu mir.«
Forss ging durch den Raum auf den Tisch zu. Der Mann wies auf den leeren Stuhl vor ihm. Er hatte ein Gesicht wie ein Winterapfel. Vor den tausend Falten und Leberflecken klebte eine Brille mit bierdeckelgroßen Gläsern.
»Setz dich, setz dich. Eine junge Dame in einem Fuchspelz.« Der Alte lachte ein kehliges Lachen. »Die Füchse. Ewig habe ich nicht an die gedacht, Ewigkeiten, verdammt noch eins! Sag mal, spielst du für die? Bist du ein echter Fuchs? Kommst du aus Reinickendorf?«
»Nein, leider nicht«, sagte Forss vorsichtig. Sie hatte Angst, den Alten zu enttäuschen.
»Ehrlich gesagt habe ich die Jacke in einem Secondhand-geschäft gekauft. Und das nur, weil ich die Farben mochte. Mit den Reinickendorfer Füchsen habe ich sonst nichts am Hut.«
»Ich auch nicht«,
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