Später Frost: Der erste Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)
fälschlicherweise für Henrik Larsson gehalten hatte. Die Grünanlage bestand aus kaum mehr als einem tennisplatzgroßen Stück Rasen, einigen Kiefern, Palmen und Büschen. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass keine Passanten in der Nähe waren, pinkelte sie hinter einen Rhododendronstrauch.
5
Von den Schären her schrien die Möwen. Maria fuhr aus dem Schlaf hoch. In ihren Träumen war sie wieder in dem Glashaus gewesen. Der fremde Mann hatte sie gejagt. Er war hinter ihr her, immer noch, die Angst war real, steckte ganz tief in ihr. Während sie aufwachte, begriff sie: Dieser Mann war kein Fremder. Sie war ihm schon einmal begegnet, im Stockholmer Schmetterlingshaus, als Frost seinen Vortrag gehalten hatte. Der Mann hatte den ganzen Abend zu Love und ihr herübergestarrt. Daher ihre Panik, ihre anhaltende Unruhe. Er musste sie erkannt haben, an dem Abend in dem Glashaus. Und wahrscheinlich war er längst auf der Suche nach ihr.
MONTAG
1
Der einzige dunkle Hosenanzug, der keine Flecken hatte und nicht in der Reinigung war, kniff sie an den Oberschenkeln und am Po, trotzdem zwängte sie sich hinein. Wenigstens war ihr schwarzer Mantel sauber, auch wenn er für die Jahreszeit viel zu dünn war, deshalb wickelte sie sich einen von Anders’ grauen Schals um den Hals und fand in der Schublade unter der Garderobe eine schwarze Wollmütze, die einmal Anna gehört hatte, damals, in ihrer Gothic-Phase. Sie hatte es immer noch nicht geschafft, ihre Tochter zurückzurufen, fiel ihr ein, spätestens heute Nachmittag, schwor sie sich. Wenn man die Mütze entsprechend drehte, verschwand der eingestickte Schriftzug The Cure im Kragen unter dem Schal, stellte sie vor dem Spiegel fest. Es musste gehen, etwas Angemesseneres würde sie auf die Schnelle nicht finden, die letzten Beerdigungen, auf denen sie gewesen war, hatten wohl alle im Sommer stattgefunden.
Axelsson war natürlich da und ein Mann, den sie nach Hultins Beschreibung für Benny Carlsson hielt. Marianne Wettergreen, die Pflegekraft von Veteranen , und einige Leute, die sie nicht kannte. Zwei Journalisten von Smålands Posten . Nach den ersten Sensationsberichten in den überregionalen Boulevardblättern war es in den Zeitungen ziemlich still geworden. Die nichtssagende Andacht hielt Per Lööv, ein Kollege von Anders, den sie nicht sonderlich schätzte. Nachdem der Sarg in die Erde hinabgelassen worden war, begann es zu regnen. Sie schüttelte Hände, eine anschließende Trauerfeier gab es nicht.
2
Forss war früh auf den Beinen, ihr Magen rumorte. Sie war nachts aufgewacht und hatte von dem gechlorten Leitungswasser getrunken, vielleicht lag es daran. Sie ließ das Frühstück aus, trank nur ein Glas Tee, nach dem es ihr besser ging. An der Rezeption erkundigte sie sich, wie sie am besten in die Altstadt gelangen könnte. Der Mann hinter dem Tresen riet ihr, zu Fuß zu gehen oder ein Taxi zu nehmen, vom Bus würde er abraten, wegen der Anschlagsgefahr.
Draußen suchte Forss die nächste Bushaltestelle. Die aushängenden Fahrpläne konnte sie nicht entziffern, deshalb sprach sie einen der Wartenden an. Der Mann erklärte ihr, dass es zwei verschiedene Bussysteme in Jerusalem gebe; eines, das die Juden nähmen, und ein anderes für die Araber. Als Touristin könne sie aber beide benutzen. Dann erklärte ihr der Mann, wie sie am schnellsten in die Altstadt käme. Der Bus gehörte zu der arabischen Linie. Genau genommen war es eher ein langer, umgebauter Mercedes-Transporter. Forss saß eingequetscht zwischen zwei alten Männern mit dunkelbrauner, rissiger Haut. Sie erinnerten sie an türkische Einwanderer der ersten Generation: Jackett, Anzughose, schlichte Schuhe, Schnurrbart.
Am Damaskustor stieg sie aus. Forss sah die meterhohe historische Stadtmauer aus Sandstein, auf dem Autoabgase im Laufe der Jahrzehnte Schlieren in verschieden Graustufen hinterlassen hatten. Alles schien hier aus diesem Stein zu sein. Jerusalem, die Stadt aus gelbem Sand, unter einem grauen Schleier.
Obwohl es noch nicht neun Uhr war, zogen Strömevon Touristen durch das berühmte Tor. Junge Männer mit schwarzem Haar sprachen Passanten an und offerierten geführte Touren und Schnäppchen auf dem Basar. Forss ließ sich vom Sog der Menschen mitziehen. Die breite Gasse wurde an beiden Seiten von Marktständen flankiert. Kleidung gab es hier zu kaufen, Jeans, Pullover, Unterwäsche, Mäntel, aber auch Gewürze, Obst, Gemüse, Tee, Reiseandenken, religiöser Nippes, Motto-T-Shirts.
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