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Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens

Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens

Titel: Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Voigt
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irgendwie suspekt. Manfred sieht aus wie Jesus Christus, seine Freunde nennen ihn Uhu. Das machen die Augen, sie blicken milde wie Jesus auf den Bildern alter Meister, aber auch weise wie der Uhu im Wald, dem man nachsagt, er sei der König der Nacht in der Vogelwelt. Er kommt regelmäßig eine halbe Stunde vor Mitternacht angeradelt auf ein Bier in seiner Stammkneipe, vielleicht werden es zwei.Drei werden es nie, denn Manfred achtet auf seine Gesundheit, er hat noch viel vor in diesem Leben. Wütend sei sein Naturell von Jugend an gewesen, fröhliche Wut. Mit dieser Haltung guckt er auch auf die Zecher im Stammlokal, durch das ein langes Rohr gelegt wurde, um den Zigarettenrauch auszuleiten, was nicht gelingt, der Rauch steht dick und dampfend. Die nebligen Runden ringsum üben sich in resignativen Aphorismen. Wir waren alle mal nüchtern, ruft Max, der Maler. Und der kleine Herr K. deklamiert im Vollbesitz seiner Pointenpotenz: Der Untergang macht ein Schiff erst groß!
    Viele ältere Männer verwüsten sich, sie treiben Schindluder mit ihrer Gesundheit, bemerkt der Uhu und lacht, glucksend, wie denn sonst. Fröhliche Wut sei die Grundlage seines Optimismus: Nietzsche wurde mal gefragt, warum er schreibt. Aus Rache, antwortete der Philosoph. So sehe ich das auch, sagt Manfred. Das Alter ist unabwendbar, da bin ich Fatalist. Ich mache allerdings viel, um es hinauszuzögern, aus Rache. Radfahren jeden Tag, manchmal bis ins Oderbruch, Gymnastik ebenfalls jeden Tag, inklusive Liegestütze.
    Das Foto, das er mitgebracht hat, zeigt einen jungen Mann im Halbprofil, längeres dunkelblondes Haar, weißer Kittel. Das war in Bernburg, Sachsen-Anhalt, da war er siebzehn, Gebrauchswerberlehrling. Das Foto wurde am Tag seiner Auszeichnung gemacht, das Abzeichen links am Kittel ist ein Orden im Berufswettbewerb. Manfred hatte ein auffallendes Talent zum Großporträt. Marx, Engels, Lenin, Stalin, die konnte er bis in die kleinste Stirnfalte, bis ins letzte Barthaar, er war der Star der Porträtmaler in der Gebrauchswerberwerkstatt:Ich war stolz, ich war aufstrebend, ich dachte, ich reiße die Welt ein und zieh sie neu wieder hoch.
    Er ist der Liebling des Lehrausbilders gewesen, diese Hochschätzung hat er genossen. Auch die der Mädchen, auf die er mit seinem Talent Eindruck machte, keiner konnte den Stalin wie er: Es war eine unfertige, glückliche Zeit, man kannte noch keine Grenzen, nicht die eigenen und nicht die äußeren. Sein milchbartartiges Aussehen auf dem Foto ist ihm allerdings suspekt: Da guckt noch das Kind durch, das unbedingt ein Mann sein wollte, Mannsein hatte damals noch einen anderen Kurswert, weißt du. Er wollte unbedingt Künstler werden, eine Karriere habe er nie angestrebt. Als Restaurator hatte er Erfolge, bei der Wiederherstellung des Bildes in der Potsdamer Nikolaikirche zum Beispiel, sechzehn heilige Männer, Apostel und Evangelisten.
    Du bist nun alt. Ich bin nicht alt. Natürlich bin ich alt. Wieder das glucksende Lachen, das die Albernheit der Jugend konserviert hat: Ich bin vielleicht alt, was die Frauen anbelangt, aber nicht, was die Produktion betrifft, da bin ich nicht alt. Das Ich altert nicht, es wird nur manchmal angeweht von Herbstgefühlen. Man muss tätig sein. Wenn man nichts mehr macht, verdämmert man. Er arbeite in aller Stille seit vielen Jahren an etwas, wovon er hoffe, dass es ein Erfolg werde, der alles, was er bisher geleistet hat, übertreffe, sein Geheimnis. Er begann mit diesem Projekt schon, als er noch auf der Kunsthochschule war, und hat dafür auf viel Materielles in seinem Leben verzichtet. Früher habe er den Fehler gemacht, Leuten davon zu erzählen, die fragten dann und fragten und fragten nach und irritierten ihn mit ihrer Fragerei. Aber jetzt im Stillenwird es, es wird. Weitblick, sagt Manfred, sei der Vorzug des Alters, man falle nicht mehr auf modische Lebensentwürfe rein, sondern verlasse sich auf seine innere Überzeugung: In der Jugend war ich ehrgeizig, im Alter nicht, der Ehrgeiz braucht immer den Gegner, eine Sache um ihrer selbst willen zu tun, ist kein Ehrgeiz.
    Das Stammlokal hat Stühle rausgestellt, die Luft ist mild, man erzählt sich Dinge, die man sich bei kühlerem Wetter nicht erzählen würde. In den Altersheimen wird jetzt Rock ’n’ Roll getanzt, was sagst du dazu? Ich habe nie Rock ’n’ Roll getanzt, war mir zu sportlich, Tanzen muss Gefühlsannäherung sein. Außerdem will ich nicht ins Altersheim, ob mit Rock ’n’ Roll oder ohne.

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