Spaghetti in flagranti
Wachhund, wenn es darum ging, die Ehre seiner Tochter zu sichern.
Vale, der ich natürlich mein Leid geklagt hatte, meinte zwar, wir sollten uns ein Hotelzimmer mieten, aber das kam für mich nicht in Frage. Zum einen hätte uns bei meinem Glück hier im Ort garantiert jemand gesehen, und dafür extra nach Rimini oder noch weiter weg zu fahren, erschien mir albern. Die typisch italienische Variante im Auto auf einem der Parkplätze entlang der Panoramica zwischen Gabicce und Pesaro war mir nicht nur zu unromantisch und unbequem, sondern um diese Jahreszeit obendrein zu kalt. Spontan musste ich an die heimlichen Treffen mit Gianmarco in seinem Opel Corsa zurückdenken, bei denen ich mir jedes Mal blaue Flecken geholt hatte. No und noch mal no , das brauchte ich ganz sicher nicht noch mal.
Ich war drauf und dran, die Hoffnung aufzugeben, da bot sich uns am vorletzten Abend, den Otto in Riccione verbrachte, doch noch eine Gelegenheit für eine ungestörte Nacht.
Der Kirchenchor, in dem zio Maurizio sang, veranstaltete zweimal im Jahr Exkursionen zu verschiedenen Wallfahrtsorten, und die Reisen dauerten stets von Freitag bis Sonntag. Sofern babbo keine Wochenendschichten im Wettbüro arbeiten musste, fuhren meine Eltern mit. Sie hatten schon die schwarze Madonna in der Grotte von Loreto besichtigt, sich das berühmte Krippenspiel von Francesco D’Assisi in Greccio angesehen und ein Stück des Jakobswegs bei Lucca zurückgelegt. Diesmal war ein Ausflug ins Kloster von Montecassino geplant, eine ganz besondere Reise für mamma , die seit Jahren davon träumte, einen Fuß in die Benediktinerabtei zu setzen, in der einst der junge Thomas von Aquin gewesen war.
Meine Eltern hatten zunächst abgesagt, weil mein Vater nicht freibekommen hatte, doch dann war der Dienstplan kurzfristig geändert worden. Sofort hatte sich mamma , die ihre Chance witterte, ans Telefon geklemmt und tatsächlich noch zwei Plätze in dem Bus ergattert.
Ich freute mich wirklich sehr für sie – und für mich.
Als ahnte babbo , dass ich etwas im Schilde führte, nahm er mich kurzerhand zur Seite, ehe die beiden das Haus verließen. Mamma wühlte hektisch in ihrer Handtasche, um sich zu vergewissern, dass sie auch ja nichts Wichtiges vergessen hatte, während mein Vater den schweren Koffer zum Aufzug beförderte. Hätte ich es nicht besser gewusst, ich hätte vermutet, dass sie für vier Wochen in Urlaub fuhren, so viel hatten sie dabei. Aber meine Mutter war da etwas eigen und reiste stets mit großem Gepäck – nur für den Fall der Fälle.
»Ich verlasse mich auf dich«, sagte babbo, und unter seinem Blick wurde mir ganz mulmig. »Keine Dummheiten.«
»Danke, ich bin alt genug«, sagte ich und nickte vorsichtshalber trotzdem brav, um ihn zu beruhigen. Sonst kam er am Ende noch auf dumme Gedanken und blieb da.
»Und ärgert nonna nicht.« Er gab mir einen Kuss auf die Wange und trat in den Aufzug.
Ich rollte bloß mit den Augen. Für ihn würde ich immer seine »bella bimba« bleiben, sein schönes, kleines Mädchen, selbst wenn ich achtzig war und er schon tot.
Während ich zusah, wie sich die Aufzugtüren schlossen, dachte ich mir, dass die Definition von »Dummheiten« zum Glück Auslegungssache war. Mein Vater konnte sich hundertprozentig darauf verlassen, dass ich weder das Haus anzündete noch unsere Großmutter ins Altersheim schaffte oder die Zwillinge an einen Drogenring verkaufte. Das war doch schon einiges, fand ich. Der Rest war Privatsache.
Das mit der Privatsache war allerdings erklärungsbedürftig, zumindest gegenüber meinen Schwestern, die kein Verständnis dafür hatten, dass wir nach dem gemeinsamen Abendessen mit nonna für uns sein wollten. Unter den absurdesten Vorwänden versuchten sie Otto von mir fortzulocken, und Laura war sich nicht zu schade, einen Ausrutschunfall in der Badewanne zu inszenieren. Aber bevor Otto ihrem Hilferuf folgen und meine nackte Schwester aus der Wanne bergen konnte, stürmte ich ins Bad und hätte beinahe einen echten Unfall verursacht. Im letzten Moment erinnerte ich mich jedoch an babbos Mahnung und besann mich, keine Dummheit zu begehen.
Der Rest des Abends verlief dann ohne nennenswerte Zwischenfälle. Da wir aber unter allen Umständen vermeiden wollten, dass die Zwillinge etwas von unserem Schäferstündchen mitbekamen, benötigten wir einen langen Atem. Als hätten die beiden den Braten gerochen, wollten sie nämlich partout nicht ins Bett gehen. Erst brauchten sie Stunden,
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