Spaghetti in flagranti
Tag aber erst mal mit Gianmarco, den ich bisher so brav auf Abstand gehalten hatte. Ich wartete nicht mal, bis er sich meldete, sondern simste ihn selbst an. Mit meiner Wanderung auf dem Pfad der Tugend war es hiermit offiziell vorbei. Wenn Otto auf meinen Gefühlen herumtrampelte, brauchte ich mich auch nicht länger anständig zu verhalten. Abgesehen davon hatte er sich bisher nicht blicken lassen, um seine Jacke und sein telefonino abzuholen, was mich nur noch bestärkte.
Ich ließ mich von Gianmarco zum Essen ins La Barchetta ausführen, das beste Fischlokal am Platz. Das bootförmige Restaurant war an der Nordspitze des Hafens gelegen, mit Blick auf die lichtflackernde Küstenlinie, und machte seinem Namen alle Ehre. Einer der Kellner war Gianmarcos Cousin, weshalb wir so kurzfristig überhaupt einen Platz bekommen hatten, noch dazu ganz am Ende der Mole, wo die Tische etwas weiter auseinander standen, damit man ungestört war.
Mein Exfreund, der sich für den Abend regelrecht in Schale geworfen hatte, gab sich wirklich Mühe: Er holte mich mit dem Wagen zu Hause ab, hielt mir die Tür auf, bot mir auf dem unebenen Weg entlang der Hafenmole seinen Arm an und verwöhnte mich auch sonst nach Strich und Faden. Als Vorspeise bestellte er Meeresfrüchtesalat, weil er sich daran erinnerte, dass ich den für mein Leben gern aß, und danach gegrillten Steinbutt in Zitronenmarinade, der nirgendwo so gut war wie im La Barchetta. Gianmarco wusste, wie man eine Frau behandelte, damit sie sich fühlte wie eine Königin. Trotzdem konnte ich den Abend nicht so genießen, wie ich es mir vorgenommen hatte, denn meine Gedanken wanderten immer wieder zu Otto. Wo er jetzt wohl war? Ob er an mich dachte?
Die Frage beantwortete sich von selbst, als Gianmarco mich am Ende dieses wunderbaren Abends in seinem Mercedes Coupé, das ihm deutlich besser stand als der Corsa von damals, bei mir zu Hause absetzte. Schon von weitem sah ich Otto vor der Haustür stehen, und auch Gianmarco erkannte ihn sofort.
»Oha«, sagte er mit einem Seitenblick auf den Konkurrenten, der in seinen Augen gar keiner war, »da steht dir wohl ein klärendes Gespräch ins Haus.«
Ich sagte nichts darauf, so sehr war ich damit beschäftigt, gegen die aufsteigende Übelkeit anzukämpfen.
Souverän half er mir aus dem Wagen, grüßte Otto mit einer lässigen Geste, verabschiedete mich mit zwei Wangenküsschen und brauste gutgelaunt davon. Er hatte sich mit keiner Regung anmerken lassen, ob er sauer war, weil Otto ihm die Tour vermasselt hatte. Offenbar hielt er nach wie vor an seiner Theorie vom richtigen Moment fest und hatte kein Problem damit, diesen abzuwarten.
Otto und ich standen uns gegenüber, als könnten wir nicht bis drei zählen. Die Minuten verrannen, keiner machte den Anfang, keiner ging auf den anderen zu. Er sah schlecht aus, hatte Ringe unter den Augen und wirkte traurig. Irgendwie wollte er so gar nicht zu diesem perfekten Abend passen.
»Du willst sicher deine Jacke abholen?«, sagte ich schließlich. Das Thema Carla und seine Simserei mit Vale ignorierte ich geflissentlich. Die Diskussion konnte und wollte ich mir jetzt nicht antun.
Er nickte bloß stumm. Nach seinem Handy fragte er nicht.
»Ich geh kurz hoch und hole sie. Wartest du hier?«
Erneut ein Nicken.
Als ich wieder herunterkam, saß er im Schneidersitz auf der Mauer des Vorgartens und hatte die Augen geschlossen. Er zuckte zusammen, als ich ihn an der Schulter berührte, und streifte meine Finger, als er mir die Jacke abnahm.
Ein schmerzhafter Blick jagte durch meinen Körper, und ich taumelte zurück. Die Situation war so was von grotesk. Da saß der Mensch, der mir seit einiger Zeit so nah war wie kein anderer, und war mir so fremd wie noch nie zuvor. Damit konnte ich nicht umgehen. Ich hätte mir nichts sehnlicher gewünscht, als dass er mich in den Arm nahm, dass er etwas sagte, damit alles wieder gut war. Aber er saß nur da und sah mich an.
Unfähig, den ersten Schritt zu machen, drehte ich mich um und lief auf unser Haus zu.
»Buona notte« , sagte ich im Gehen.
»Dir auch eine gute Nacht«, hörte ich ihn in meinem Rücken sagen.
Dann fiel die Haustür hinter mir ins Schloss.
15.
Am Ende hatten wir es meiner Großmutter zu verdanken, dass die Tür in Richtung Versöhnung zwischen meiner Familie und Otto nicht für immer verschlossen blieb. Wer weiß, ob ich sonst auf ihn zugegangen wäre …
»Wenn ihr nicht in der Lage seid, euch am Samstag alle an einen
Weitere Kostenlose Bücher