Spaghetti in flagranti
angenommen hatte, war ihm womöglich nicht bewusst gewesen, worauf er sich da einließ. In all den Jahren hatte er sich vermutlich mehr als einmal dafür verteufelt, dass er als junger Familienvater die – vermeintlich – bequemere Lösung gewählt hatte. Vorzugsweise dann, wenn nonnas Eigensinn und seine Unnachgiebigkeit aufeinanderprallten. So wie heute.
Ich war mir ziemlich sicher, dass nonna sich durchsetzen würde. Babbo war zu uns Mädchen sehr streng, er legte auf seine Stellung als Familienoberhaupt großen Wert, vor allem darauf, dass dieser Eindruck nach außen gewahrt blieb. Hinter der Bühne, im Backstage-Bereich unseres Familienlebens sozusagen, schwang mamma das Zepter – nicht selten gemeinsam mit nonna . Die beiden hatten ein sehr enges Verhältnis, sie hielten wie Pech und Schwefel zusammen.
Angesichts der schlechten Stimmung am Küchentisch verzichtete ich auf das Obst zum Dessert und verzog mich in mein Zimmer. Zum Glück gingen die Zwillinge noch mit ihrer besten Freundin Gina und einigen anderen Mädchen in die Eisdiele, wo sie seit Beginn der Sommerferien allabendlich herumlungerten, um Jungs abzuchecken. Damit war das Bad für eine abendliche Beauty-Session frei, und ich gönnte mir das volle Programm.
Während ich in der Wanne lag und die Honigmilch meine Haut bearbeiten ließ, kreisten meine Gedanken um Otto. War es wirklich so schlimm, dass er sich von zio Gaetano zu dieser kindischen Aktion im Babalu hatte breitschlagen lassen? Wieso konnte ich da nicht einfach drüberstehen?
Ich versuchte mir auszumalen, wie Otto an meiner Stelle reagiert hätte. Als er mich mit Gianmarco gesehen hatte, war er total gelassen geblieben, jedenfalls äußerlich. Oder war ich bloß so borniert, dass ich nicht merkte, wie sehr er litt? Madonna , was war das alles kompliziert!
Gar nicht kompliziert war es in letzter Zeit mit Vale, die ich am darauffolgenden Mittwoch traf. Auf dem Programm stand unsere geplante Fernsehsession, auf die ich mich schon sehr freute. Ihre Mutter war für zwei Tage in Rom, deshalb hatten wir vereinbart, dass ich bei ihr übernachtete. Ich hatte mir von mamma sogar extra eine Sondergenehmigung erteilen lassen, um dem Essen fernbleiben zu dürfen, und war ganz früh arbeiten gegangen, damit wir den Abend voll ausnutzen konnten.
Auf dem Weg in die Via Ticino ging ich noch schnell bei meiner Lieblings-Rosticceria vorbei, um ein paar frische piadine und eine doppelte Portion Antipasti zu besorgen. Um die Getränke wollte sich Vale kümmern, und wie ich sie kannte, würde sie uns Cocktails mixen. Die Filme hatte sie längst heruntergeladen, nachdem wir uns nach einigem Hin und Her auf ein Triple-Feature aus P. S. Ich liebe dich , den sie im Kino verpasst hatte und seit einer Ewigkeit sehen wollte, Zwei an einem Tag und (500) Days of Summer geeinigt hatten, für Vale der beste Liebesfilm aller Zeiten.
Als ich an dem kleinen alimentari -Laden vorbeikam, vor dem ein Aufsteller mit Taschentüchern im Angebot stand, nahm ich spontan noch eine Großpackung mit. Heute Abend würden Tränen fließen, da war ich mir sicher.
So war es dann auch. Wir machten es uns im Wohnzimmer auf dem L-förmigen Sofa bequem, eine jede mit einem Tablett voller Leckereien auf den Knien, die Getränke vor uns auf dem Tisch, die Tempos griffbereit zwischen uns. Schon beim ersten Film kamen wir kaum zum Essen, so sehr heulten wir um die Wette, und nach der zweiten Runde Cocktails rührte uns jede noch so kitschige Szene zu einem weiteren Gefühlsausbruch. Spätestens als wir Tom und Summer durch ihr fünfhundert Tage währendes Liebesdrama begleiteten, musste ich vor lauter Weinen irgendwann lachen und vor lauter Lachen ständig weinen. Oder war es umgekehrt? Vale hatte mir nicht zu viel versprochen, der Liebesfilm, der nach der Aussage des Hauptdarstellers im Prolog gar keiner war, erzählte eine tieftraurige, aber wunderschöne Geschichte.
Ähnlich wie bei Otto und mir, dachte ich, während der Abspann lief. Inhaltlich hatte (500) Days of Summer nichts mit meiner Beziehung zu tun, doch das emotionale Auf und Ab, das Tom in dem Film durchmacht, ähnelte dem Gefühlschaos, in dem ich mich seit einer Weile befand. Noch hatte ich Otto nicht angerufen, um ihn zu nonnas Geburtstag einzuladen, dabei waren es nur noch drei Tage bis Samstag. Wie erwartet hatte babbo irgendwann nachgegeben, woraufhin meine Oma mir aufgetragen hatte, dafür zu sorgen, dass Otto zu ihrem Fest kam. Was, wenn er schon etwas anderes
Weitere Kostenlose Bücher