Spaghetti in flagranti
vorhatte? Oder keine Lust?
»He, woran denkst du?«, fragte Vale, als sie merkte, dass ich gedankenversunken vor mich hin starrte.
»Ach«, ich wischte mir Träne Nummer dreihundertneun für diesen Abend aus dem Augenwinkel. »An Otto.«
» Carissima , schlag dir diesen Typen endlich aus dem Kopf. Der ist nichts für dich! Nimm lieber Gianmarco. Der trägt dich nicht nur auf Händen, sondern sieht auch noch gut aus, außerdem fährt er ein cooles Auto, seine Eltern haben Geld …« Sie dachte kurz nach. »Und er ist immer top angezogen.«
»Ja, das sind die Dinge, auf die es ankommt«, erwiderte ich spöttisch und warf mit einer Packung Taschentücher nach ihr.
»Na ja, von dem Supermann aus Bayern kann man das nicht unbedingt behaupten.« Der abfällige Unterton in Vales Stimme war nicht zu überhören. »Sein Aufzug ist so gut wie immer verschreibungspflichtig, wenn nicht gesundheitsschädlich. Bei seinem Anblick kriegt man manchmal echt Augenkrebs.«
»Was soll das?« Langsam wurde ich wütend. Ihre dämlichen Bemerkungen konnte sie sich sparen. Otto war eben nicht wie Gianmarco oder ihr notgeiler Ex Giorgio, der in jeder Lebenslage aussah wie frisch vom Laufsteg. Zugegeben, Giorgio hatte Stil, wenngleich nur in Klamottenfragen und nicht charakterlich. Dabei wäre Letzteres viel wichtiger gewesen.
»Männer sollten ihre behaarten Schenkel vor den Blicken der Öffentlichkeit verbergen. Außer sie sind Bauarbeiter und heben gerade ein Erdloch aus«, setzte Vale noch einen drauf.
»Sei nicht so gemein! Otto ist ein feiner Kerl und war für dich da, als es dir wegen Giorgio schlecht ging. Hast du das etwa schon vergessen? Warum hackst du ständig auf ihm herum? Du hattest von Anfang an was gegen ihn, stimmt’s?«
Sie winkte ab, ehe sie aufstand, um den Fernseher auszuschalten. »Bitte nicht streiten, der Abend war so schön. Lass uns lieber den letzten Schluck Mai Tai aufteilen.« Ehe ich protestieren konnte, schenkte sie mir nach, drückte mir mein Glas in die Hand und prostete mir zu. »Auf uns. Best friends forever. «
»Ja, auf uns. Schön, dass es wieder so ist wie früher«, sagte ich noch.
»Finde ich auch.«
Inzwischen war es halb eins, und uns fielen die Augen zu, daher tranken wir schnell aus und gingen ins Bett. Wir ließen einfach alles auf dem Wohnzimmertisch stehen, aufräumen würde ich dann morgen früh. Ich hatte mir in der Kochschule extra einen Tag freigenommen, während Vale ganz normal arbeiten musste.
Als wir nebeneinander in ihrem breiten Bett lagen, war ich plötzlich wieder hellwach. Ich wälzte mich von einer Seite auf die andere, fand jedoch keine bequeme Position und musste erneut die ganze Zeit an Otto denken.
Vale, die genau wusste, was in meinem Hirn vor sich ging, setzte sich auf, schaltete die Nachttischlampe an und zog einen kleinen Block samt Stift aus dem Schränkchen gleich neben ihrem Bett.
»Na los, wenn wir sowieso nicht schlafen können, schreiben wir eben eine Liste. Lass uns alle typisch deutschen und italienischen Eigenschaften gegenüberstellen, die uns einfallen. Am Ende machen wir einen Strich drunter und vergleichen. Vielleicht kannst du dich dann besser entscheiden.«
»Ich muss mich nicht entscheiden«, maulte ich. »Ich will Otto. Außerdem will ich schlafen.«
Vale schüttelte den Kopf, als hätte sie es mit einem renitenten Kleinkind zu tun. »Jetzt warte doch mal ab, was dabei herauskommt. Ich fange an. Deutsche sind total spießig und halten sich selbst an die dämlichsten Regeln. Die gehen ja nicht mal um drei Uhr nachts bei Rot über die Ampel, wenn weit und breit kein Auto kommt.«
Ich rollte mit den Augen. »Was ist das denn für ein alter Hut! Billiger geht’s ja wohl nicht. So regeltreu sind die Deutschen gar nicht. Wenn es ums Bezahlen der Fernsehgebühren geht, lügen die meisten sogar wie gedruckt, außerdem sind sie sehr kreativ darin, ihre Haftpflichtversicherung um kleinere Summen zu betrügen.«
»Das glaub ich dir jetzt nicht.« Vale kam kaum nach mit dem Schreiben, das Gekritzel konnte hinterher bestimmt keiner mehr lesen. Nicht mal sie selbst.
Ich nickte zur Bekräftigung. »Doch! Sie lassen sich sogar eine abzugsfähige Rechnung oder wie das heißt geben, wenn sie eine Frau zum Eis oder auf einen Kaffee einladen, nur um die paar Euro hinterher von der Steuer absetzen zu können. Sogar dann, wenn die Frau die Rechnung zahlt.« Dass ich gerade selbst dabei war, das Punktekonto der Deutschen auf der Negativliste zu erhöhen,
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