Spaziergang am Meer: Einsichten einer unkonventionellen Frau
gehört.«
»Daß ich ungezogen oder nett bin?« gibt sie zurück und lässt damit erst gar keine Förmlichkeit aufkommen.
»Laut meiner Frau sind Sie ein Original, das begierig darauf ist, von ausgetretenen Pfaden abzuweichen. Wie ich höre, haben Sie viel Freude am Spielen. Wird Zeit, daß ich das auch mehr tue.«
|78| »Das läßt sich hier leicht machen«, erwidert sie, und dann, als hätte sie das Gefühl, es sei wichtig für ihn, diesem Übergang einen Stempel aufzudrücken, wechselt sie das Thema und fragt ihn, was er aus seinem bisherigen Leben am meisten vermissen wird.
»Die Schüler«, antwortet er. »Durch die erhält alles Bedeutung.«
Ich kann kaum verstehen, was darauf folgt – irgendwas über den Lohn des Unterrichtens, zu beobachten, wie sich die Jugend entwickelt, ihre Erfolge zu feiern. Plötzlich habe ich ein gutes Gefühl dabei, diese Party zu geben.
»Sollte man nicht einen Trinkspruch ausbringen oder so?« flüstert mir jemand ins Ohr.
Joan hatte mich zu einem Geschenk gedrängt. »Ein bißchen Feierlichkeit schadet weder einer Party noch einem Übergang«, hatte sie gemeint. Also klettere ich auf meinen Barhocker und klopfe an mein Glas. »Auf meinen Mann«, rufe ich über die Musik und den Lärm hinweg, »und auf alles, was an ihm unvollendet ist. Statt der üblichen Golduhr, Liebling, schenke ich dir eine Gezeitenuhr – die lineare Zeit ist für immer zu Ende. Du wirst dich schon bald dem Rhythmus des Meeres überlassen.«
Der Applaus übertönt die Musik und wird sogar noch lauter, als sich ein praktisch Fremder Robin mit einer Schere in der Hand nähert. »Die werden Sie nicht mehr brauchen«, ruft er, schneidet Robins Krawatte ab und wirft sie hinauf zu den Dachbalken.
»Ähm, vielen Dank, Sir«, erwidert mein Mann, ein wenig verblüfft, er lacht aber trotzdem herzlich und wendet dann seine Aufmerksamkeit wieder Joan zu.
»Was machen Sie hier draußen?« höre ich ihn Joan fragen. »Oder, genauer gefragt, was macht man hier den Winter über?«
»Alles, was man mag«, antwortet sie geradeheraus. »Das ist |79| das Schöne an diesem Leben. Man kann all die strengen Regeln hinter sich lassen.«
»Klingt gut«, sagt er, aber ich frage mich, ob er das ehrlich meint. Regeln zu brechen, ist mit Risiko und Rebellion verbunden, zwei Dinge, vor denen er immer zurückgeschreckt ist. Vielleicht wird sich das alles ändern? Ich hoffe es.
Schließlich zerstreut sich die Menge, und wir bleiben allein zurück – Robin, ich und Joan, die auf ein Taxi wartet. »Ich trinke noch was«, verkündet mein Mann und rutscht von seinem Barhocker. Joan reicht ihm ihr Glas. »Ich nehme auch noch einen«, sagt sie, zwinkert mir dann zu, als wolle sie mir zu verstehen geben, daß alles bestens läuft. Als er zurückkommt und vorschlägt, daß wir uns was zu essen bestellen, ziehen wir uns in eine bequeme Nische zurück. Joan rückt ihren purpurroten Samtschal so zurecht, daß er ihr Gesicht einrahmt und sie im flackernden Kerzenlicht eindeutig strahlend aussehen läßt. Im Vergleich zu ihr komme ich mir plötzlich alt und farblos vor.
»Schaut euch mal an, wie die da drüben in der Ecke tanzen«, sagt Joan, und wir drehen uns um und recken den Hals. »Tanz ist was absolut Wunderbares. Es gibt keine Grenzen für das, was man mit purer Energie tun kann.«
Robin nickt zustimmend und überrascht mich, als er hinzusetzt: »Das war eine der ersten Ausdrucksmöglichkeiten, die ich als Kind entdeckt habe. Da ich groß, dürr und unbeholfen war, konnte ich meine Gliedmaßen kaum koordinieren. Dann hörte ich eines Tages den Big Bopper im Radio.«
»Wen?« unterbricht Joan.
»Einen der ersten Rock-’n’-Roll-Sänger. Sie wissen schon, ›Chantilly Lace with a pretty face‹«, er singt den Text fast. »Plötzlich konnte ich mich nicht mehr zurückhalten. Jedesmal, wenn der Song kam, sprang ich auf und machte alle möglichen Verrenkungen.«
»Und Sie fühlten sich geschmeidig«, beharrt Joan.
|80| »Na ja, ich bewegte mich nicht gerade flüssig oder wendig, aber ich fühlte mich gut – in Verbindung mit etwas Großem und Mächtigen. Zum ersten Mal war mein Körper gut drauf.«
»Ich glaube, als ich zum ersten Mal getanzt habe, war ich auch von mir entzückt«, sagt sie und schweift mit ihren Gedanken in eine andere Zeit. »Ich erinnere mich, daß ich mir sagte, ich kann das, ich kann das ganz offensichtlich! Es ist wunderbar, jeden Teil seines Körpers einzusetzen«, fährt sie fort, zwischen kleinen
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