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Spaziergang am Meer: Einsichten einer unkonventionellen Frau

Spaziergang am Meer: Einsichten einer unkonventionellen Frau

Titel: Spaziergang am Meer: Einsichten einer unkonventionellen Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan Anderson , Susanne Aeckerle
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bestätigt, daß wir angekommen sind.
    |114| »Welches ist unser Boot?« fragt Joan und klettert aus dem Bus, den Spazierstock in der Hand. Ich deute zum Dock und zur Laufplanke, und sie stapft los. Die anderen folgen, längst nicht so begierig wie sie, und als sie an Bord kommen, steht Joan bereits am Bug und hält die Reling umklammert.
    Als unser Kapitän Pete den Motor anläßt und ablegt, spüre ich die Erregung der anderen, obwohl sie keine Ahnung haben, was vor ihnen liegt. Die Zeit scheint stillzustehen. Unser kleines Abenteuer hat nichts Vernünftiges oder Praktisches, was es um so reizvoller macht. Während wir langsam aus dem Hafen tuckern, beobachten wir entzückt die Blaureiher, die majestätisch im hohen Gras stehen, einen Fischadler, der sein Nest hoch auf einem alten Telefonmast ausbessert, die orangefarbene Sonne über dem Watt und die Muschelsucher, die dort arbeiten.
    »Ich möchte Natur sein«, ruft Joan.
    »Du meinst, du möchtest in der Natur sein, ja? Davon bekommst du auf diesem Ausflug sicherlich genug.«
    »Nein, Liebes, ich möchte Natur
sein
– weißt du, makellos, natürlich, sogar primitiv sein«, verbessert sie mich. »Das ist ein großer Unterschied.«
    »Tja, aber spring deswegen bloß nicht über Bord«, witzele ich. »Und sobald wir Tempo aufnehmen, wäre es vielleicht bequemer für dich, wenn du dich hinsetzt.«
    »Vielen Dank, Mami«, erwidert sie sarkastisch und nimmt widerstrebend Platz, als Pete Vollgas gibt. Das Boot hüpft über das Wasser, stemmt sich gegen die Strömung. Der Wind bläst uns ins Gesicht, Gischt spritzt auf, und wir fühlen uns vollkommen wohl auf dieser wunderbaren Fahrt. Ich schaue zurück ins Kielwasser, was mir normalerweise entgeht, weil ich so darauf geeicht bin, nach vorne zu blicken, und sehe die schaumige Aufgewühltheit, die mich immer belebt. Wir fahren um Bojen herum, um Hummerkörbe, Sandbänke und ein paar andere Boote. Nach einiger Zeit beginne ich, Ausschau nach den Seehunden zu halten, sehe ein oder zwei Köpfe auftauchen, |115| als wir vorbeirauschen, und genauso schnell wieder verschwinden. Gerade als ich mir Sorgen mache, daß sie vielleicht an eine andere Stelle gezogen sind, entdecke ich in der Ferne eine ganze Herde, der Strand jetzt ein Streifen in Braun, Grau und Weiß.
    »Da sind sie«, zeige ich, und alle Köpfe drehen sich, während der Kapitän den Motor drosselt, damit wir näher herangleiten können. Man sagt, daß Seehunde, mehr als alle anderen Tiere, eine träumerische Wirkung auf den menschlichen Geist haben, und das scheint zuzutreffen, wenn ich meine Freundinnen so betrachte – ihre Gesichter sind plötzlich faltenlos und glatt, die Augen weit geöffnet, alle sind begierig darauf, die Eindrücke in sich aufzunehmen.
    Mehrere Seehunde heben den Kopf, schauen mit mildem Interesse zu uns, stoßen ein oder zwei Schnaufer aus, schmiegen sich dann wieder an die anderen. »Ach, könnte man doch ein Seehund sein«, flüstert Hazel, sichtbar verzaubert. Joan hat sich längst von ihrem Sitz erhoben, kniet jetzt und lehnt sich weit über den Bug.
    »›Schwimmfüßige Seehunde entsagen der stürmischen Dünung‹«, zitiert Joan, »›und schlafen in Herden, atmen üble Gerüche aus‹. So ähnlich steht es bei Homer, glaube ich. Ich hätte nie gedacht, daß ich so etwas zu sehen kriege.« Damit lehnt sie sich noch weiter über den Bug des Bootes und beginnt zu heulen, erst ein gutturaler Laut, gefolgt von langgezogenen, dann wieder das Heulen, als würde sie ihre Sprache kennen. Und tatsächlich stellt sie Kontakt her. Ein Seehund, dann noch einer, watschelt ins Wasser, bis eine ganze Gruppe im Meer ist, nicht schwimmt, sondern Wasser tritt, die Augen auf uns und unser kleines Boot gerichtet. Plötzlich stößt ein gewaltiger Bulle, der etwas weiter vom Ufer entfernt liegt, ein Brüllen aus, warnt die Kolonie vielleicht vor nahender Gefahr, was fünfzig oder mehr ins Wasser treibt, wo sie mehr Kontrolle über ihr Schicksal haben.
    |116| Wir sind sprachlos und schauen zu, wie der Tanz beginnt. Sie gleiten wie eine Ballettgruppe dahin, manche angelockt von silbrigen Fischschwärmen, andere von Joans Heulen, sie springen mit gebogenem Rücken aus dem Wasser und tauchen wieder zum tiefen, dunklen Meeresboden hinab, hinterlassen nur eine Kette von Luftblasen.
    »Wo sind sie?« fragt Martha verwundert, als wir uns in allen Richtungen nach Anzeichen von ihnen umschauen.
    Platsch! Mehrere tauchen am Bug auf, andere am Heck, und

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