Spaziergang am Meer: Einsichten einer unkonventionellen Frau
ständigen Aufmunterungen machen mich nervös. »Hättest du gern eine Tasse Tee?« frage ich, unterbreche ihren Gedankengang.
»Das wäre sehr schön, Liebes... und da sind noch Kekse im Schrank, die wir dazu essen können.«
Obwohl ich weiter herumhantiere, bleibt sie unbarmherzig. »Weißt du, was ich glaube? Ich glaube, du hast Angst davor, die Regeln, die du gebrochen hast, tatsächlich in Worte zu fassen, zu schreiben, wie du sie gebrochen hast und wie sich die Auswirkungen wirklich anfühlen – wie viel du davon genossen hast, aber wie viel ungelöst bleibt.«
Wieder hat sie recht. Und sie rührt an einen wunden Punkt. Ich nehme an, daß ich das, was ich getan habe und wer ich dabei geworden bin, mit gemischten Gefühlen betrachte. Ich habe ein gespanntes Verhältnis zu meiner unmittelbaren Vergangenheit. So viele Wahrheiten, die ich mir sogar jetzt noch nicht eingestehen mag und die ich, Gott weiß, nicht gedruckt sehen möchte. Mein Schweigen scheint ihr zu verraten, daß sie mit ihrer Vermutung richtig liegt.
»Henry James hat gesagt, daß ein Schriftsteller bereit sein muß, sich in Verlegenheit zu bringen«, fährt sie fort, zwar ohne mit dem Finger zu drohen, aber doch wie eine Anwältin klingend, die ihren Fall zum Abschluß bringt. »Jeder möchte die |127| Stimme von jemandem hören, der wirklich etwas durchgemacht hat. Ich glaube, das bist du«, sagt sie, womit sie die Beweisführung abschließt und vom Tisch aufsteht. »Komm mit. Wir gehen in mein Schlafzimmer und kramen in meiner Zederntruhe.«
»Nach einem Stück Chiffon?« witzele ich.
»Nach etwas Besserem«, antwortet sie mit einem verschmitzten Zwinkern.
Sie zieht Stühle heran, setzt sich neben einen sargförmigen Mahagonikasten und hebt den Deckel hoch. »Meine Schätze«, sagt sie und deutet auf einen Schmuckkasten mit einigen ihrer selbstgemachten Halsketten, auf mehrere Holzschnitzereien, die Erik in seiner Zeit als Künstler angefertigt hat, und darunter auf Stapel exotischer Kleidungsstücke – Saris, die sie in Indien gekauft hat, selbst entworfene Capes, prächtige Tücher aus Seide und Wolle und, fast ganz unten am Boden, das Stück Stoff, nach dem sie sucht. »Da ist es«, sagt sie, zieht es heraus und hält es hoch. »Ein Sarong. Ich weiß nicht mehr, woher ich den habe. Er paßt so gut zu dir mit all den über die Seide verstreuten Fischen und Meerestieren – perfekt für einen Fisch! Du wirst toll darin aussehen. Und mehr noch, du wirst dich frei fühlen!«
»Ich soll das tragen?« frage ich zögernd.
»Jawohl, und mit so wenig wie möglich darunter. Unterwäsche ist so einengend, besonders wenn man jung ist. Es wird Zeit, meine Liebe, daß du deinen Körper mit deinem Verstand in Einklang bringst. Nach einiger Zeit wirst du dich nicht mehr tot fühlen, das verspreche ich dir. Geh einfach raus und spring herum.«
Sie hat jede Methode, jeden Trick angewandt, um mir etwas Neues zu entlocken, drängt mich, an mich selbst zu glauben. »Vielleicht mußt du jemand werden, der du nie werden wolltest«, sagt sie auf dem Rückweg zur Küche. »Geh denselben Weg zurück, such noch mal all die Sümpfe, Strände und Marschen |128| auf, wo das Echo deiner Gedanken mit den Gezeiten steigt und fällt. Es wird Zeit, daß du nach deinen eigenen Rezepten handelst.«
Sie scheint begierig darauf, zu ihrer Arbeit zurückzukehren, nachdem sie mir eine Aufgabe angeboten hat – durch Erfahrung meinen Weg zurück zu erfühlen. »Ach, und nimm das auch mit«, fügt sie hinzu. »Das hab ich vor langer Zeit auf einer Handwerksmesse gekauft... ist es nicht prächtig? Die Künstlerin hat das Buch selber gebunden, die Seiten sind aus Pergament. Ich finde, es paßt perfekt dazu, daß du anfängst, transparenter zu werden. Bis in ein paar Tagen.«
Und damit werde ich zur Tür hinausgeschickt, bereit, das Schreiben auf ihre Weise zu versuchen und die Augenblicke, die mich meinem wahren Selbst näherbringen und mir mehr Stoff zum Weiterreichen geben, an- und in mich aufzunehmen.
|129| Unsinn machen
Die nächsten paar Monate klemmte ich mich dahinter, mich selbst zu entdecken und wiederzuentdecken, und brachte die Ergebnisse tatsächlich zu Papier. Bis ich einen Anruf von meiner Cousine bekam, die mich aufforderte, sie und ihren Mann nach Peru zu begleiten. »Wir werden über den Inka Trail wandern«, sagte sie, mehr als aufgeregt über diese Möglichkeit. »Willst du mitkommen?« Ich merkte, wie sich mein alter Nomadengeist rührte. Das wäre
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