Spaziergang am Meer: Einsichten einer unkonventionellen Frau
sicherlich eine willkommene Pause beim Schreiben, überlegte ich, womöglich würde so ein Abenteuer meiner Arbeit sogar eine neue Dimension hinzufügen. Aber ich hatte auch Bedenken.
»Glaubst du, wir schaffen das?« fragte ich sie. »Schließlich sind wir keine jungen Mädchen mehr.«
»Genau darum geht es ja«, gab sie zurück. »Entweder jetzt oder nie. Du bist diejenige, die mir dauernd damit in den Ohren liegt, unser ungelebtes Leben zu leben.«
»Okay. Okay. Gib mir vierundzwanzig Stunden, um darüber nachzudenken.« Natürlich habe ich kaum aufgelegt, als ich auch schon Joan anrufe und ihre Meinung dazu hören will.
»Das ist gar keine Frage«, sagt sie ohne zu zögern. »Du mußt es machen. Es ist eine Sache, an einem sicheren Ort etwas zu riskieren, und etwas ganz anderes, das in unbekanntem Gebiet zu tun. Chancen wahrzunehmen und die Routine in Frage zu stellen, sind zwei wichtige Voraussetzungen, lebendig zu bleiben. Außerdem bietet eine neue Umgebung immer neue Einsichten.«
»Ich dachte mir schon, daß du es gutheißen würdest, aber |130| meine praktische Seite fragt sich, ob ich es mir leisten kann. Mal ehrlich, laufe ich nicht nur einfach wieder davon, versuche, der Realität aus dem Weg zu gehen?«
»In einer Umgebung wie Machu Picchu? Wohl kaum! Es ist keine ungefährliche Sache, schon wegen der Höhe und so, aber wenn sich so eine Gelegenheit bietet, mußt du sie ergreifen.«
»Danke für deinen Segen. Jetzt muß ich nur noch Robin fragen. Er wird vielleicht nicht so begeistert sein.«
»Keine Bitten um Erlaubnis mehr«, sagt sie und springt fast durchs Telefon. »Wessen Leben ist es denn? Du hast auch nicht gefragt, ob du nach Cape Cod verschwinden durftest, nicht wahr? Erik und ich sind oft in verschiedene Richtungen gegangen, um das eine oder andere Ziel zu verfolgen. Außerdem, hast du inzwischen nicht gelernt, daß niemand dich zur Freiheit drängt? Das mußt du schon selber machen.«
»Tja, dann werde ich wohl nach Peru fahren.«
»Sieht so aus«, sagt sie, »aber bevor du losfährst, schlage ich vor, daß du dich mit deinem Körper anfreundest. Er ist der einzige, der dir unterwegs helfen kann.«
Ihre Bemerkung ist ernüchternd.
»Wie viele Wochen sind es denn, bevor du abfährst?«
»Acht«, antworte ich.
»Gut. Das sollte uns genug Zeit lassen, ein Trainingsprogramm aufzustellen. Du bist ein bißchen zu rundlich... könnte dir nicht schaden, etwas lockerer zu werden. Du siehst nicht elastisch aus.«
»Was?« Ihre Direktheit verletzt mich.
»Man könnte meinen, du seist nie aus der Mutterschaft herausgekommen.«
»Soll das heißen, du hältst mich für dick?«
»Nein, Liebes, nur für ein bißchen ungeübt. Man kann ziemlich träge werden, wenn man sich nicht um seine Maschine kümmert, und ich fürchte, deine muß ein wenig überholt werden.«
|131| »Du hast doch nicht gedacht, ich würde ohne Training zu so einem anstrengenden Abenteuer aufbrechen?« frage ich gereizt, nehme ihre konstruktive Kritik schlecht auf.
»Du mußt mehr tun als Fahrrad fahren oder spazieren gehen«, beharrt sie. »Du willst doch nicht mitten während der Wanderung deinen Mumm verlieren, oder?«
»Natürlich nicht. Also, was schlägst du vor?«
»Na ja, zum einen ist da mein Heimtrainer, und dann werde ich dich mit einem vollen Rucksack auf dem Rücken die Verandastufen rauf und runtersteigen lassen – sagen wir, zehnmal hintereinander, und wenn du deine Spaziergänge mit Gewichten machst, sollten wir dich in Nullkommanichts fit haben.«
Den ganzen Sommer lang hielt sie mich während der Wochen vor meiner Abreise auf Trab, und jetzt, während ich die hoch aufragenden Anden betrachte, die mich umgeben, bin ich sowohl für den Druck dankbar, den sie auf mich ausgeübt hat, wie auch für ihre Ermutigung. »Du mußt Vertrauen zu deinem Körper haben. Er ist eine tragbare Welt – ein wirkliches Wunder. Wenn du sorgsam mit ihm umgehst, wird er dich durch alles bringen.«
Trotzdem bin ich nervös, während ich hier auf einem Felsen neben dem Fluß Urubamba sitze und zuschaue, wie die Träger unsere Ausrüstung umpacken, damit sie gut zu tragen ist, frage ich mich, warum ich jemals glauben konnte, dieser Herausforderung gewachsen zu sein. Vielleicht wird ein Problem auftauchen, das uns zwingt, die Wanderung zu verschieben oder sogar abzusagen, denke ich hoffnungsvoll.
Eine kühle Brise weht mir den Schweiß der Besorgnis von der Stirn, und ich nehme die Energie des strömenden Wassers in
Weitere Kostenlose Bücher