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Spaziergang am Meer: Einsichten einer unkonventionellen Frau

Spaziergang am Meer: Einsichten einer unkonventionellen Frau

Titel: Spaziergang am Meer: Einsichten einer unkonventionellen Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan Anderson , Susanne Aeckerle
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mich auf. Die Bewegung und das Tosen der Stromschnellen, die über uralte Felsen herabstürzen, trösten mich, wobei ich hoffe, daß das Geräusch mir die Kraft geben wird, den Aufstieg in die nahe gelegenen Hügel zu schaffen. Farbenfroh in |132| Orange, Lila und Rot gekleidete Andenfrauen, mit steifen, runden Hüten auf dem Kopf, kommen von den Hügeln und marschieren flott zum Markt, machen kleine Schritte und tragen Bündel auf dem Rücken, die sehr viel größer sind als unser Gepäck.
»Fuerte mujeres«
, sagt Gustalvo voller Stolz auf die starken Frauen seines Landes. Ich versteife mich und schäme mich meiner Trägheit. Rasch sammle ich meine Wasserflaschen ein und richte meinen Rucksack. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Ich habe die Herausforderung angenommen und nur Joans Weisheit zur Verfügung, die mich aufrecht hält.
    »Mach Unsinn«, hat sie mir von ihrem Balkon zugerufen, nachdem sie mir den Yin-und-Yang-Anhänger gegeben hat, der jetzt um meinen Hals hängt. »Hab Spaß dabei, wenn du die Berge hochstapfst, und vergiß nicht zu lachen. Tränen passen nicht mehr zu dir.«
    Bei der Erinnerung an ihre Worte fällt mir ein, daß ich meine Schultern entspannen und ein paar Dehnübungen machen sollte, bevor Gustalvo uns auf den Pfad schickt.
»Adelante!«
ruft er, stürmt auf die Hügel zu und winkt uns, ihm zu folgen. Meine Cousine und ihr Mann gehorchen blitzschnell, während ich mich zwar mutig gebe und mich bemühe, den ersten steilen Aufstieg hinaufzuhasten, aber voller Angst bin, zurückgelassen zu werden. Ich komme mir wie ein träges Pferd vor, das noch nicht an der Startmaschine ist, obwohl das Rennen schon begonnen hat. Werden wir immer so schnell gehen, selbst in größeren Höhen? Ich strenge mich an, mein Atem geht schwer, und meine Beine fühlen sich an wie Blei. Nach ein paar Minuten keuche ich: »Wartet, bitte wartet auf mich. Ich schaff das nicht.« Als die Worte des Scheiterns aus meinem trockenen Mund kommen, sehe ich das Ende des Abenteuers vor mir, noch bevor es richtig begonnen hat.
    Meine Cousine kommt zurück, erkennt das, was ich für Herzversagen halte, als bloße Panikattacke. »Es besteht kein Grund zur Eile«, sagt sie und drängt mich, an einer Handvoll |133| Geißblatt zu riechen, das sie gerade gepflückt hat. »Weißt du noch, was wir vereinbart haben? Jeder von uns muß sein eigenes Tempo finden. Wenn wir für diese Wanderung eine Woche brauchen statt vier Tage, dann ist das eben so.« Ihre besänftigenden Worte lassen meine Atmung ruhiger werden und erlauben mir, mein Gleichgewicht zu finden und neuen Schwung zu bekommen. Nach einem Schluck Wasser beruhigt sich mein Puls.
    Auch Gustalvo bemerkt meine Beklemmung und mein gerötetes Gesicht, als er zurückkommt, um nach uns zu schauen. »Verschwende keine Energie«, warnt er mich, legt mir den Arm um die Schultern. »Spüre deinen Körper beim Gehen. Bleib hier und da ein wenig stehen. Auf dieser Wanderung sollst du Kontakt mit der Erde aufnehmen... mehr nicht.«
    Ich nicke zustimmend und fühle mich erst mal beruhigt, gestatte den Elementen, ihren Zauber wirken zu lassen und meine Sinne zu entfesseln. Genau das würde Joan anordnen. »Sieh, rieche, berühre und schmecke alles... das ist es, was uns belebt und uns auf sinnliche Weise mit der äußeren Welt verbindet. Es ist genau die Nahrung, die wir für unseren Körper und unsere Seele brauchen.«
    Ich setze einen Fuß vor den anderen und gehe weiter, zitiere laut einen Ausspruch von Dag Hammarskjöld:
»Sei klar und wagemutig in diesem Kampf mit dem Berg... mit dir selbst gegen dich.«
Nach einer kleinen Weile trägt mir jeder Windstoß einen exotischen Geruch nach dem anderen zu. Bald komme ich zu den Trägern, die stehengeblieben sind, um Wasser zu trinken, und überhole sie. Wenn ich allein gehe und mich nicht auf die anderen konzentriere, werde ich vielleicht davon abgehalten, mit ihnen zu konkurrieren. Trotzdem ist dies eine Art Konkurrenz, nicht mit anderen, sondern mit mir selbst – eine private Vereinbarung, die ich einhalten muß. Ich bin hier, um meine Ausdauer zu testen, meine Unabhängigkeit und mein Potential. Ich passe meinen Schritt den dahinjagenden Stromschnellen |134| an, deren Echo aus der Schlucht unter uns zu hören ist, und setzte mir dabei kleine Ziele: einen Felsvorsprung hinter einer Biegung, eine moosige Kuppe in der Ferne, eine Ruine, die ich auf der Karte in meiner Westentasche entdeckt habe, einen Anstieg, den ich ohne Pause erklimmen will.

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