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Spaziergang im Regen

Spaziergang im Regen

Titel: Spaziergang im Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Barnard
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veranstaltet.
    Shara erzählte davon, wie sehr der Verlust ihrer Mutter ihre Seele erschüttert hatte. Als sie ihren Blick wieder hob, sah sie, dass Jessa weinte. Nicht auf schluchzende Weise, und wahrscheinlich hatte sie selbst noch gar nicht die zwei dicken Tränen bemerkt, die auf ihren Wangen schimmerten.
    Diese stille Mitgefühlsbekundung setzte etwas in Shara frei, und ihr wurde endlich der Kummer bewusst, den sie seit über zwanzig Jahren in sich herumgetragen hatte, ohne seine Existenz jemals anzuerkennen. Sie streckte Jessa eine Hand entgegen, bot Trost und erhielt ihn doch selbst.
    In dem Moment ereignete sich etwas zwischen ihnen, für das Shara keinen Bezugspunkt hatte. Der rationale Teil ihres Hirns schrie, dass sie sich davor fürchten sollte, denn was auch immer sie mit Jessa Hanson verband, entzog sich ihrer Kontrolle – aber während sie sich weiterhin an der Hand hielten und stumm in die Flammen schauten, war Sicherheit das einzige, was sie fühlte.
    »Es ist alles in Ordnung, Shara.«
    Jessas sanfte Beteuerung zwang ihren Blick weg von den Resten ihres Mousse au chocolat und wieder zu der Frau, die fähig schien, sie bis in ihr Innerstes zu erschüttern. »Wie machst du das nur?« fragte Shara mit kaum hörbarer Stimme.
    »Genau so wie du.« Jessa lächelte.
    »Was? Gedanken lesen?«
    Jessa nickte. »Manchmal schon.« Sie ließ ihren Blick für eine Weile über Shara gleiten, die vollkommen aus der Bahn geworfen schien, und bat dann: »Erzählen Sie mir mehr von Laos.«
    Shara atmete tief durch und entspannte sich etwas. »Dort habe ich Französisch gelernt.«
    »Französisch?«
    »Ja, seltsamerweise. Bevor Frankreich Vietnam kolonisierte, versuchten sie, über den Mekong von Laos nach China vorzudringen. Während dieses kurzen, gescheiterten Versuchs hatten sie einen großen Einfluss auf Architektur, Kultur und Sprache. Viele alte Leute in Laos sprechen Französisch als ihre Muttersprache oder haben es als erste Fremdsprache gelernt. Ich hatte in dem Film keine große Rolle und musste viel herumsitzen und auf die Szenen warten, in denen ich grausam umgebracht wurde, also engagierte ich eine private Französischlehrerin.«
    »Comment est-ce que tu l’as entretenu?«
    Shara machte große Augen, ob dieser in perfektem, akzentlosem Französisch gestellten Frage, wie sie in Übung geblieben war. »Mon amie Elise a une maison de campagne en Provence et j’y passe quelques jours chaque été. Ça me revient«, antwortete Shara. »Sie sind voller Überraschungen.«
    »Oh, das würde mir auch gefallen, in der Provence im Haus einer Freundin Urlaub zu machen. Ich glaube Ihnen gern, dass Sie so gut in Übung bleiben.« Jessa zuckte mit den Schultern. »Ich hatte ein Nomadenleben, als ich klein war. Erst wegen meinem Vater, der bei der Marine war, und dann später wegen meiner Musik. Kinder lernen sich anzupassen.« Sie grinste Shara an. »Ich kann in mehreren Ländern nach dem Weg zur nächsten Toilette fragen, ohne die Eingeborenen auf Englisch anzubrüllen wie ein typischer Engländer.«
    Shara musste lachen. »Ich muss mich da mit Zeichensprache durchkämpfen, es sei denn, es handelt sich um Englisch, Französisch, Serbokroatisch oder Gälisch.«
    »Serbokroatisch?« fragte Jessa in dem gleichen ungläubigen Ton, in dem sie sich zuvor nach dem Französisch erkundigt hatte.
    Shara lachte. »Fragen Sie nicht. Ich bin mir sicher, dass es in Ihrer Vergangenheit auch Beziehungen gibt, über die Sie lieber nicht sprechen möchten.«
    Wie aufs Stichwort klingelte das Satellitentelefon. Beide erstarrten und Jessas Miene verfinsterte sich. »Das dürfte für Sie sein.« Falls Derek am Telefon war, dann würde es das dritte Mal in ebenso vielen Tagen sein, dass er anrief, obwohl Shara ihm erläutert hatte, dass die Nummer nur für Notfälle gedacht war.
    »Es ist Ihr Telefon; Sie sollten drangehen«, entgegnete Shara gelassen und hoffte inständig, dass wirklich jemand mit Jessa sprechen wollte.
    Jessa schob ihren Stuhl vom Tisch zurück, stand auf und stakste ins Wohnzimmer zum Telefon. »Was?« Sie wusste, dass sie unhöflich war, aber es kümmerte sie nicht.
    »Hallo, ich möchte gern mit meiner Verlobten, Shara Quinn, sprechen.«
    Verlobte? Jessa spürte, wie ihr Herz fast schmerzhaft zu hämmern begann, aber sie bemühte sich um einen neutralen Tonfall. »Wie geht es Ihnen?«
    Derek zögerte, offenbar von der Frage aus dem Takt gebracht. »Ich . . . äh . . . mir geht’s gut. Danke. Und wie geht es

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