Spaziergang im Regen
einem Empfang ab und nahm einen früheren Flieger zurück nach London. Was sie nicht erwartet hatte, als sie in die gemeinsame Wohnung kam, war, eine unbekannte Frau dort anzutreffen, die gerade dabei war, Tee zu kochen.
»Es tut mir so leid, Jess.«
»Was? Dass du mit einer anderen vögelst, während ich mit der Karriere beschäftigt bin, die du für mich wolltest? Oder dass du mit ihr hier zusammen in meinem Zuhause lebst, während ich mir den Arsch aufreiße und wie ein Nomade lebe, in Ländern, in denen ich kaum die Sprache spreche? Also, was tut dir leid?« Jessas Stimme war immer lauter geworden, und sie hatte die letzte Frage herausgebrüllt.
»Ich wollte dir nie wehtun. Aber ich war so einsam. Du bist die meiste Zeit weg, und ich lebe so abgeschieden.«
»Ich bin weg wegen deines Ehrgeizes, nicht meines! Und selbstverständlich bist du abgeschieden. Du bist doch diejenige, die für uns beide eine Scheinheterowelt aufgebaut hat! Wir können gesellschaftlich mit niemandem verkehren, den diese verdammte PR-Agentin nicht vorher für uns ausgesucht hat und der nicht mindestens genauso viele Geheimnisse hat wie wir. Wir können als Paar keine echten Freunde haben, die über uns Bescheid wissen, weil wir so sehr in der Öffentlichkeit stehen, dass für die Presse sogar unsere Bekanntschaften Gold wert sind.«
»Ich kann nicht fassen, was du da redest. Seit du meinen Empfehlungen für deine Karriere folgst, bist du berühmt! Du warst ein Niemand als wir uns kennenlernten!«
»Genau da liegst du falsch, Stephanie. Ich mag zwar für dich niemand gewesen sein, aber ich war jemand: für meine alten Freunde und für Lisa. Alles was ich jetzt habe, ist ein vorgetäuschtes Leben, mit vorgetäuschten Freunden, die mich noch nicht einmal wirklich kennen!«
»Du meinst alte Freunde wie Lucia?« fragte Stephanie mit vor Verachtung tropfender Stimme. »Ihr habt doch nur immer miteinander gevögelt, wenn es ihr gelegen kam und ihr beide in der gleichen Stadt wart.«
Jessa fühlte sich von dieser schonungslosen Anschuldigung tief verletzt, weil sie überhaupt nicht mehr wusste, wem oder was in ihrem Leben sie vertrauen konnte. Sie begann damit, wahllos Sachen aus der gesamten Wohnung in mehrere Taschen zu packen, und war froh, dass sie keine Gelegenheit gehabt hatte, ihre Koffer auszupacken, bevor sie Stephanies Betrug entdeckt hatte.
»Wo willst du denn hin?«
»Weg von dir«, sagte Jessa mit bebender Stimme.
»Wohin? Zu deinen alten Freunden? Mach dich nicht lächerlich, Jess, du hast sie sechs Jahre lang aus deinem Leben ausgeschlossen, erwartest du da, dass sie dich wieder in ihre Arme schließen, wenn du zu ihnen zurückgekrochen kommst? Oder willst du dich wieder bei Lisa einnisten und sie in dieser kindischen Art ausnutzen, wie du es immer getan hast?«
»Halt den Mund!« Jessa wusste, dass ihre Reaktion so kindisch war, wie Stephanie ihr gerade vorgeworfen hatte, aber es war, als wäre ihre Welt komplett aus den Fugen geraten. »Lass Lisa aus dem Spiel! Im Gegensatz zu dir hat sie immer mein Bestes im Sinn, und sie hat mich noch nie betrogen.«
»Dein Bestes? Dass ich nicht lache. Sie war dagegen, dass du eine PR-Agentin eingestellt hast, und wenn es nach ihr ginge, dann wärst du eine berüchtigte Lesbe ohne Karriere – obwohl ich mir ziemlich sicher bin, dass sie dir trotzdem immer noch zehn Prozent von dem abknöpfen würde, was du verdienst. Mach dir doch nichts vor, Jess, du bezahlst sie doch dafür, dass sie so tut, als würde sie sich was aus dir machen.« Als Jessa sie ignorierte, fuhr sie in gehässigem Ton fort: »Schön. Hau ruhig ab, weil ich mir einen Ausrutscher geleistet habe. Wir werden ja sehen, wie deine werte Lisa damit umgeht, wenn all ihre Träume erfüllt werden.«
Jessa hielt in ihrer Bewegung inne. »Einen Ausrutscher?« Stephanies Ungeheuerlichkeit, die Tatsachen so zu verdrehen, raubte ihr fast die Worte. Der Schrank war angefüllt mit Kleidungsstücken der anderen Frau, und sie hatte offensichtlich wochen- wenn nicht gar monatelang mit Stephanie in ihrem gemeinsamen Bett geschlafen. »Du lügst dir doch selbst in die Tasche.« In ihrer Wut war ihr Stephanies Kommentar zu Lisas Träumen nicht aufgefallen.
Als sie ein paar Minuten später im Taxi saß, rief sie Lisa an. Noch bevor sie etwas sagen konnte, platzte Lisa heraus: »Jessa! Willkommen Daheim. Du hast den Empfang sausenlassen und bist dafür lieber früher zurückgeflogen? Das kann ich dir nicht krummnehmen. Du musst ja
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