Spaziergang im Regen
zu können. Ich gehe.«
Plötzlich wurde Jessa bewusst, wie Shara ihre Aussage interpretiert hatte, und sie wirbelte zu ihr herum. »Das ist doch nicht die Lösung, die ich im Sinn hatte, Shara. Du weißt, dass ich dich gern hier habe –« Tränen traten in ihre Augen, weil sie den emotionalen Rückzug in Sharas Stimme wahrgenommen hatte.
»Aber?«
»Es gibt kein ›aber‹. Ich genieße es, hier mit dir zusammen zu sein. Bedingungslos. Ich möchte auch, dass du mit mir reist, wenn du nicht arbeiten musst, und ich hatte angenommen, dass du dir das gleiche wünschst, wenn ich nicht arbeite.« Sie wandte ihren Blick ab und öffnete eine Bierflasche. »Ich gebe zu, dass ich mir wie eine Närrin vorkomme, in dieser Hinsicht so anmaßend gewesen zu sein.« Ärger schlich sich in ihre Stimme, mit dem sie den Schmerz kaschierte, den ihr Stolz ihr verbat auszusprechen.
»Darum geht es doch nicht!« Shara stand auf und ging auf sie zu. »Wie kannst du auch nur für einen Moment glauben, dass ich nicht mit dir zusammensein will?«
»Weil du mir das gesagt hast?« fragte Jessa sarkastisch.
»Ich brauche einfach noch Zeit, Jessa, und dabei geht es nur um die Presse und wie ich mit denen fertig werde. Das hat nichts mit dir zu tun.«
»Ach, komm schon. Du bist zehn Jahre lang mit der Presse fertiggeworden! Wag es ja nicht, mich damit zu beleidigen, dass du vorgibst, es hätte nichts mit mir oder deiner neuen lesbischen Beziehung zu tun!«
»Natürlich hat es was mit der Tatsache zu tun, dass ich in einer lesbischen Beziehung bin. Ich verlange von dir nur das, was die mir nicht gewähren: die Gelegenheit, mich auf diese Tatsache einzustellen und mir darüber klar zu werden, wie ich es der Welt verkünde . . . auf meine eigene Art und Weise.«
»Und deine Art und Weise ist es, mich und unsere Beziehung zu verstecken? Darüber zu lügen, was mir miteinander machen, und leugnen –« Ihre Stimme war voller Schmerz, und sie konnte den Satz nicht vollenden, weil der Gedanke ihr die Luft abschnürte. Du willst unsere Liebe leugnen.
»Ich brauche einfach Zeit, Jessa. Ich bin noch nicht bereit.« Ich bin nicht stark genug, mich dem zu stellen.
»Du müsstest das doch nicht allein durchmachen.«
»Du verstehst nicht. Vor nicht mal einem Jahr war mein Leben komplett verplant: Ich hatte vor, den Mann zu heiraten, den ich liebte, und ich wusste, was mich erwartete. Jetzt ist alles anders, und ich muss mir meinen eigenen Weg suchen. Ich muss alles sorgfältig durchdenken. Und das kann ich nicht mit Blitzlichtgewittern in meinem Gesicht.«
»Worüber musst du denn da nachdenken? Oder hast du Bindungsangst?«
Shara stieß einen frustrierten Laut aus. »Es geht hier doch nicht um Bindungsangst! Jessa, wenn ich nicht fühlen würde, was ich fühle, glaubst du wirklich, dass ich hier so mit dir zusammensein könnte und die Dinge sage, die ich sage?«
»Das ist nichts Neues für mich, Shara. Eine Beziehung verlangt nach einer Bekräftigung. Das ist doch der Grund, warum Leute heiraten und sich in aller Öffentlichkeit zueinander bekennen. Du erzählst mir, dass du mich liebst, und ich glaube dir. Aber ich kenne eine Frau, die sechs Jahre lang mit mir im Geheimen gelebt und genau dasselbe gesagt und mich dann öffentlich in jeder nur möglichen Weise verraten hat. Danach habe ich mir selbst einen Teil der Schuld eingestanden, weil ich mich darauf eingelassen hatte, eine Lüge zu leben. Jetzt weiß ich aber, dass ich nicht mit einer Person leben kann, die sich dafür schämt, mit mir zusammen zu sein. Das unterspült meine Selbstachtung und schwächt unsere Beziehung.«
Sharas Augen füllten sich mit Tränen. »Findest du wirklich, dass es fair von dir ist, mich mit Stephanie zu vergleichen? Ich weiß, was du wegen ihr durchgemacht hast –«
»Du weißt überhaupt nichts!« unterbrach Jessa sie wütend. »Du willst doch nur ein einfaches Leben. Wenn du dich nicht mal mit ein paar Pressefritzen und ihren Kameras auseinandersetzen willst, wie kann ich dann darauf vertrauen, dass du zu mir stehst, wenn es hart auf hart kommt und sie einen Lügenfeldzug starten?«
»Ich höre mir das nicht weiter an.« Shara wandte sich zum Gehen.
»Tja, das passt ja. Das erste Mal, dass wir nicht einer Meinung sind, und du haust einfach ab.«
Shara drehte sich mit ungläubiger Miene zu ihr um. »Na, du musst ja gerade reden! Der Unterschied zwischen uns beiden ist, dass du eingeschnappt weggelaufen bist, weil ich eine selbständige
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