SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit
»Ausgebranntsein« steckt ja auch irgendwie mit drin, dass man mal gebrannt, also wahnsinnig viel gearbeitet hat. Das Burn-out kann man dann wie ein Ritterkreuz oder eine olympische Medaille vor sich her tragen, so wie gerade Miriam Meckel, die prominente Kommunikationswissenschaftlerin, Publizistin und Lebensgefährtin von Anne Will. Die war noch nie so viel in den Medien, wie nach und mit ihrem Burn-out und dem dazu erschienen Buch »Brief an mein Leben«. Sie ist durch sämtliche Talkshows, die das deutsche Fernsehen zu bieten hat, getingelt. Eine durchaus interessante Art der Therapie. Ich frage mich, was ihr Therapeut dazu sagt. Aber Frau Meckel ist nicht die einzige Prominente mit Burn-out. Egal ob Fernsehkoch, Skispringer, Ministerpräsident oder Bestsellerautor: Vor einem Burn-out ist niemand gefeit.
Achtzig Prozent der Deutschen empfinden einer Umfrage zufolge ihr Leben als stressig. Jeder Dritte fühlt sich gar durch Job, Schule oder Studium im absoluten Dauerstress. Der Stress der Mitarbeiter verursacht bei deutschen Unternehmen jährlich einen Schaden von einigen Milliarden Euro. Deutsche Arbeitnehmer waren im Jahr 2008 wegen Stresserkrankungen wie Burn-out oder Depression fast zehn Millionen Tage krankgeschrieben. Fast vier Millionen Menschen sollen hierzulande unter behandlungsbedürftigen Depressionen leiden. Das Leben in der digitalen, beschleunigten Zeit scheint seinen Tribut zu fordern. Bei den meisten Menschen ist die Stressbelastung gestiegen, und Dauerstress kann gravierende körperliche und psychische Folgen haben. Die Weltgesundheitsorganisation WHO erklärte in einer Studie den beruflichen Stress gar als gröÃte Gesundheitsgefahr des 21. Jahrhunderts.
Burn-out hat also definitiv etwas mit Stress zu tun. Den hab ich auch, und zwar täglich und nicht zu knapp.
Und auch ein paar andere Punkte, die ich in diesem Zusammenhang lese, passen gut zu meinem aktuellen Zustand. Nach der Pleite beim Zeitmanagementseminar frage ich mich tatsächlich, ob mein Zeitproblem nicht vielleicht auch so was Ãhnliches wie ein Burn-out ist oder ob ich vielleicht sogar ein richtiges Burn-out-Syndrom habe. Ohne es zu merken. Das kommt nämlich auch häufig vor, habe ich gelesen.
Ich war noch nie beim Therapeuten, aber um das herauszufinden, vereinbare ich einen Termin bei einem Psychiater, dem bekannten Burn-out-Experten Dr. Bernd Sprenger. Einfach so. Ich habe gar nicht so lange darüber nachgedacht. Aber je näher der Termin rückt, desto unsicherer werde ich. »Eigentlich Blödsinn. Warum bist du jetzt unsicher?«, hab ich mich gefragt. »Gehst du halt auch mal zum Therapeuten. Machen doch heute eh fast alle, und du gehst ja eigentlich auch nur hin, weil du für deine Recherche mehr über das Thema âºBurn-outâ¹ erfahren willst.« Doch so locker, wie ich mir selbst einzuflüstern versuche, bin ich natürlich nicht. Insgeheim denke ich: »Jetzt bist du also auch so weit. Zum Psychodoc. Herzlichen Glückwunsch!«
Als ich mich mit dem Fahrrad zu Sprengers Praxis nach Berlin-Köpenick aufmache, fängt mein Hirn wieder an zu rattern: »Eigentlich ist dieser Termin ja total überflüssig. Total übertrieben. Am besten rufst du jetzt sofort an und sagst ihm ab. Hast sicher kein Burn-out. Nur weil du ein bisschen gestresst bist, musst du dich noch lange nicht gleich behandeln lassen. Sicher entlarvt dich der Doc als Hypochonder. Aber andererseits: Dann weiÃt du endlich, woran du bist, ob du noch normal tickst oder ein Problem hast.«
So geht es noch eine Weile hin und her, bis ich schlieÃlich im idyllischen Köpenick ankomme. Eigentlich hätte ich erwartet, dass ein Burn-out-Therapeut seine Praxis mitten in der Stadt hat, am Potsdamer Platz oder so, und nicht hier im beschaulichen, gar nicht beschleunigten Köpenick. Sprengers Praxis liegt direkt an der Spree im Hinterhof einer alten Seidenfabrik aus Backstein. Schöne Gegend. Ich stelle mein Fahrrad ab und merke, dass ich mal wieder verschwitzte Hände habe. Wie immer, wenn ich aufgeregt bin. Bevor ich an der Tür der Praxis klingle, halte ich nochmal die Luft an, dann drücke ich den Knopf. Es begrüÃt mich ein groÃgewachsener, sympathisch wirkender Mann Anfang fünfzig mit grauen Haaren und Vollbart, der es nicht ganz geschafft hat, den sympathisch-gemütlichen Akzent des Badeners abzulegen. Sehr gut, denke ich. Dann fühl ich mich gleich ein
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