SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit
vermasseln. Es ist jetzt 9.20 Uhr. Bis 9.55 Uhr haben wir Zeit. Dann muss Frau Mei-Pochtler beim Kundentermin sein. Ich schalte mein Aufnahmegerät ein, überprüfe, ob es wirklich an ist, und stelle die erste Frage. Die Zeit läuft. Es ist 9.21 Uhr, der Wagen setzt sich am Flughafen Tegel in Bewegung.
Warum die ständige Beschleunigung eigentlich so wichtig sei, will ich von Antonella Mei-Pochtler als Erstes wissen. Die Unternehmensberaterin wirft noch schnell einen letzten Blick für die nächsten Minuten auf ihren BlackBerry, bevor sie spricht.
»Weil es in der Wirtschaft im Wesentlichen darum geht, sich im Wettbewerb durchzusetzen«, antwortet sie dann doch wie aus der Pistole geschossen, »und da hat immer derjenige einen Vorteil, der dem anderen zuvorkommt. Eigentlich geht es darum, dass ich die Lösung für ein Problem schneller schaffe als der Konkurrent. Das ist Zeitwettbewerb.« In der Wirtschaft gehe es ja darum, dem Konsumenten immer wieder neue Produkte anzubieten. Da sei die Fähigkeit, das vor den anderen zu tun, enorm wichtig. Denn der, der schneller sei als die Konkurrenz, mache dann ja auch den Profit, die Umsätze. Zeit sei eben Geld. Daher sei der Faktor Zeit für die Wirtschaft sicherlich extrem wichtig.
Für sie als Unternehmensberaterin spiele Tempo aber nochmal eine besondere Rolle, und zwar in zweifacher Hinsicht, fügt Antonella Mei-Pochtler hinzu, während sie ab und zu auf ihren BlackBerry blickt, den sie noch immer in der Hand hält. Berater müssten in sehr komprimierter Zeit ein enormes Pensum bewältigen. Man müsse sehr viel reisen und sehr viele Themen in minimaler Zeit bearbeiten. Und gleichzeitig sei Beschleunigung ein zentraler Bestandteil der Arbeit für die Kunden.
»Für die geht es ja zum Beispiel nicht so sehr darum, dass sie in einen neuen Markt einsteigen, sondern dass sie es als Erste tun, eben schneller als der Wettbewerber. Wir haben vor Jahren, als das Thema âºZeitâ¹ sehr stark bei den Unternehmen hochkam, das Konzept des Zeitwettbewerbs eingeführt. Zeitwettbewerb bedeutet nichts anderes, als den Marktkontrahenten eine Nasenlänge voraus zu sein. Und noch wichtiger: die Zeit als Ordnungsrahmen für alle internen Prozesse anzuerkennen. Beim Zeitwettbewerb geht es darum, die produktive Zeit bestmöglich zu nutzen. Wie kann ich in der gleichen Zeit mehr bewältigen oder wie kann ich in einer kürzeren Zeit mehr produzieren als der Wettbewerber? Wettbewerb ist extrem wichtig, eigentlich die wichtigste Dimension, die man immer im Hinterkopf behalten sollte.«
Diese Lektion hat Antonella Mei-Pochtler scheinbar schon sehr früh gelernt. Man könnte den Eindruck haben, die gebürtige Italienerin sei mit Hochsteckfrisur und dezentem Make-up auf die Welt gekommen. Ein Blick auf ihren Lebenslauf vermittelt einem das Gefühl, selbst bisher das falsche Leben gelebt oder zumindest einen GroÃteil davon vertrödelt zu haben. Als Jugendliche wurde sie als Handballerin zur Jugendsportlerin des Jahres gewählt. Sie hat zwei Klassen übersprungen, BWL studiert, promoviert und dann auf der Wirtschaftskaderschmiede INSEAD ihren MBA gemacht. Mit 25. Neben ihrem Studium, man ahnt es fast, modelte sie natürlich. Mit 31 wurde sie Partnerin bei der BCG. In so jungen Jahren war das bis dahin niemandem gelungen. Antonella Mei-Pochtler, das kann man mit Fug und Recht behaupten, ist die leibhaftig gewordene Effizienz.
Ich schaue auf die Uhr. Es ist 9.28 Uhr. Während ich Antonella Mei-Pochtler so zuhöre, muss ich an einen Satz von Klaus Schwab denken. Schwab ist der Gründer des World Economic Forum (WEC), jenes jährlichen Stelldicheins im Schweizer Skiort Davos, bei dem sich hinter hohen Stacheldrahtzäunen Konzernchefs, Politiker und Prominente treffen und in kleinen intimen Runden und Kamingesprächen über die drängenden Probleme der Menschheit sprechen. Und bei dem auf der anderen Seite der Stacheldrahtzäune seit gut einem Jahrzehnt Globalisierungskritiker dagegen demonstrieren, weil sie der Meinung sind, dass hier in einem demokratisch nicht legitimierten Rahmen von Konzernbossen GroÃinvestoren und einigen handverlesenen Politikern in Kaminzimmern Weichen für die Weltpolitik gestellt würden. Klaus Schwab hatte genau dort vor einigen Jahren seine Erkenntnisse über die globalisierte Welt in den einen Satz gefasst: »Nicht der GroÃe frisst den Kleinen, sondern
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