SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit
denn beurteilen. Daher würden die wichtigsten News von Reuters-Redakteuren rot markiert. Der Händler fände sie dann sofort und könne in Echtzeit entscheiden, ob er ein Geschäft aus der Nachricht machen könne oder nicht.
Das sei aber noch lange nicht alles. Jetzt kommt Matthews richtig in Fahrt, man merkt ihm den Verkäufer an und durchaus auch ehrlichen Stolz auf das von ihm vertriebene Produkt. Sein System biete nicht nur Kurse und klassische Nachrichten in Echtzeit, sondern auch eine Vielzahl anderer Informationen. So könne man zum Beispiel auch ein Fenster zum Thema »Rohstoffe« oder noch spezieller Ãl einstellen. Darin könne man dann etwa die aktuelle Position von Ãltankern auf den Weltmeeren verfolgen. Das sei für Spekulanten auf den Rohstoffmärkten eine enorm wichtige Information. Ãltanker transportierten so viel Ãl, dass es einen groÃen Einfluss auf den Ãlpreis habe, wenn sie zum Beispiel durch schlechtes Wetter oder einen Hurrikan den Hafen nicht in Richtung USA verlassen könnten, wo ja der gröÃte Absatzmarkt für Ãl sei. Dann stiegen dort die Preise. Wenn man also früher wisse als andere, ob ein Tanker Verspätung hat, könne sich das finanziell durchaus lohnen.
Ich brauche mal wieder eine Weile, um zu verstehen. Reuters befeuert seine Kunden also im Sekundentakt und ohne Pause mit Informationen, damit die auf irgendwas reagieren können. Als müssten die ständig beschäftigt und bei der Stange gehalten werden. Aber ist diese gewaltige Menge an Daten und Nachrichten überhaupt sinnvoll und nicht ein bisschen übertrieben? Warum brauchen die Kunden diese Informationen in dieser Taktung, warum jede Sekunde, warum so viele, warum so schnell?
»Weil sie damit Profit machen können, ganz einfach. Sie handeln ja zum Teil mit sehr hohen Summen, Millionen von Dollar. Mit so hohen Beträgen kann man auch viel Geld verdienen, wenn die einzelnen Gewinnspannen klein sind.«
Moment, das geht mir jetzt wieder zu schnell. Ich versuche mir das, was der Reuters-Produktmanager mir da gerade gesagt hat, bildlich vorzustellen. Es reichen also ein paar Cent Gewinn pro Aktie. Man kauft eine Aktie beispielsweise an der Londoner Börse für 23,10 Euro ein, um Bruchteile einer Sekunde später in Frankfurt für 23,13 Euro zu verkaufen. Und weil man das nicht mit einer Aktie tut, sondern vielleicht mit zwei Millionen Aktien oder mit 200 000, kann man damit Geld verdienen.
»Dann muss man aber auch den ganzen Tag handeln und das Geld immer wieder hin und her schieben, um Profite zu machen«, sagt Matthews. »Und diese Profite braucht man auch, um sich so ein Computersystem wie dieses überhaupt leisten zu können. Eine Bank zu betreiben ist heute ein teures Geschäft bei einer solch gigantischen Menge an Daten.«
Paradox. Hört sich ganz so an, als sei hier ein sich selbst antreibendes System entstanden und als sei es der Finanzwelt gelungen, die Welt schneller zu machen. Die Zeit wird einfach in immer kleinere Scheibchen geteilt. Statt einmal am Tag kann das Geld nun Hunderte Male in der Minute hin und her bewegt werden. Und jedes Mal wird Profit generiert. Je schneller sich das Rad drehen lässt, desto mehr Profit springt dabei raus. Das ist das Geheimnis.
»Das ganze Geschäft dreht sich um Geschwindigkeit«, bestätigt Matthews. »Wären die Nachrichten nicht so enorm wichtig für die Händler, würden sie uns ja nicht dafür bezahlen. Wir müssen ihnen also das Gefühl geben, dass wir ihnen die Daten schneller liefern als die Konkurrenz. Immer. Denn die Broker sitzen den ganzen Tag am Bildschirm und verfolgen das Geschäft. Auf dem Heimweg beobachten sie die Preise auf dem BlackBerry â und zu Hause haben sie auch unser System, damit sie informiert sind. Manche der Jungs sind süchtig, ganz klar.«
Ich schaue den Produktmanager ungläubig an. Das sei doch nun wirklich total verrückt.
»Obâs verrückt ist, weià ich nicht, profitabel ist es allemal«, entgegnet Matthews.
»Die handeln also Tag und Nacht, ohne Pause?«, bohre ich ungläubig weiter.
»Tag und Nacht, ja.«
»Aber ist der Markt nicht irgendwann mal geschlossen?«
Nein, antwortet der Reuters-Mann. In den meisten Märkten könne man »in irgendeiner Form 24/7 handeln«, also 24 Stunden sieben Tage die Woche, weil es da nicht über eine Börse liefe, sondern
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