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Speichelfaeden in der Buttermilch

Speichelfaeden in der Buttermilch

Titel: Speichelfaeden in der Buttermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Stermann , Christoph Grissemann
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Tagebuch, ich mag meinen Beruf nicht mehr. Ich finde den Umgang mit mir zynisch und menschenverachtend.
    Seit zwei Tagen steh ich jetzt schon im Jugendzimmer des 14jährigen Manuels, neben dem Schreibtisch unter dem »Maroon 5«-Poster. Noch fünf Tage, wie soll ich das bloß aushalten? FM4- Freund-Sein ist ein Scheißjob. Manuel benutzt mich als Kleiderständer, er wirft seine Jacke und seine Schultasche über mich, wenn er nachhause kommt, und nasse Handtücher, wenn er aus der Dusche kommt. Von den stinkenden Socken will ich gar nicht reden und dem Waschlappen, den er nachts unter der Decke braucht. Ich fühle mich gedemütigt und hege einen gewissen Groll gegen die Marketingabteilung, die für diese hirnrissige Aktion verantwortlich ist. Der FM4- Freund ist ein FM4- Feind und heißt Dirk Stermann.
    25.10.
    Liebes Tagebuch, ich war mit Stermann in »Supersize me« und hab während des Films unglaubliche Lust auf einen Hamburger bekommen. Gott sei Dank hatte mein Kollege aus dem deutschen Kohlenrevier eine Riesentüte mit zwölf Big-Mäc-Menüs dabei. Hm, lecker. Schmeckt super zu der Riesentrommel Popcorn. Und während wir laut kauten und uns die Ketchup-Mayonnaise-Sauce aus dem Mund in den Bart tropfte, saß neben uns irgend so eine typische FM4- Hörerin mit Müslibröseln im Mundwinkel und meckerte herum, weil ihr ein Stück Zwiebel aus meinem Mund aufs coole »Franz Ferdinand«-T-Shirt gefallen ist. Ein Benehmen. Tja, man kann sich seine Hörer eben nicht aussuchen. Stermann hat ihr aufs Nasenflügelpiercing gerülpst und die Sache hatte sich!
    Liebes Tagebuch, bewahre mich vor fundamentalistischen FM4- Hörern. Ich hab mir bei Cosmos die neue James Last- CD gekauft, als mich so ein 15jähriger mit einem Spex in der Hand vor der Kasse zur Rede stellte. Was ich mir da für einen Scheiß kaufe und so. Hab ich ihm eins links und rechts mit meiner zusammengerollten Bravo gegeben. Ich lass mir doch nicht vorschreiben, welche Musik ich höre! Und ich lass mir auch nicht vorschreiben, welche Bücher ich lese, von keinem Radiosender und keinem Radiohörer. Ich lese nun mal gern die Pilcher, und nur weil diese verkopften FM4- Hörer kein Herz haben, verzichte ich sicher nicht auf diese romantische Literatur, da können sie mir noch so oft mit ihrem Schundvorwurf kommen! Langsam krieg ich richtig Angst vor unseren ambitionierten Hörern. Hoffentlich sieht uns keiner beim FM4- Ausflug zu »Barbarella«. Wir freuen uns bei FM4 schon wie die Schneekönige darauf.
    26.10.
    Heute ist Nationalfeiertag und da tanze ich so gerne, Tagebuch. Man muss kein scharfer Beobachter sein, um zu erkennen, dass Männer viel leidenschaftsloser tanzen als Frauen. Es sei denn, sie sind Ismael Ivo. Männer tanzen grundsätzlich kaum, es sei denn, sie sind bis oben hin voll mit Speed und Wodka. Männer lehnen lieber schief an der Bar und schauen den tanzenden Beinen der Girls nach. So ist das grundsätzlich, Tagebuch, aber bei FM4 ist das ganz anders. Alle Männer der Redaktion sind begeisterte Diskothekentänzer. Wenn im »Flex« um fünf Uhr früh die Lichter angehen, sind meist nur noch männliche FM4- Kollegen am Dancefloor und können die zuckenden Bewegungen nicht lassen. Zsutty, Reich, Schindler, Gstettner, Schreiber, Schöllerbacher, Duscher, Pfister usw. – alles schöne Discokonsule und geile Tanzmäuse obendrein. Die FM4- Ladys übrigens tanzen alle nicht, sondern lehnen an der Bar und trinken nur.
    Ich selbst, liebes Tagebuch, habe schon den Neun-Live-Tanzmarathon mitgemacht, bin Salsa-Doppelstaatsmeister und wurde Vierter im Hip-Hop-Tanzwettbewerb für über Fünfzigjährige. Außerdem war ich Ende der 70er Jahre kurz als Travolta-Tanzdouble im Gespräch. Ich tanze, um meine Sorgen zu vergessen, liebes Tagebuch. Ich tanze überall. Nicht nur in Diskotheken, auch in Weinstuben, Bahnhofshallen, Herrenboutiquen, Polizeiwachstuben, auf Straßenkreuzungen und im Käfig meiner Papageien – einfach überall. Beim Tanzen kann ich loslassen, ganz ich selbst sein. Und in meiner Männertanzgruppe FM4 fühle ich mich pudelwohl!
    27.10.
    Ja, ich gebe zu, Tagebuch, ich bin eine Stimmhure. Mein glockenhelles Timbre setze ich für Bodenreiniger-Werbespots ein und für Afghanistan-Betroffenheitsdokus, für Kaugummi-Messefilme und für Ute Bock. Eine Sprechernutte allerersten Ranges. Ich mache fast alles. Synchronisationen für Kindertrickfilme und Overvoice für Osama bin Laden. Von schmierigen Werbefuzzis werde ich im dunklen Hinterzimmer

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