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Speichelfaeden in der Buttermilch

Speichelfaeden in der Buttermilch

Titel: Speichelfaeden in der Buttermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Stermann , Christoph Grissemann
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den Steg legen und erneut die »Buddenbrooks« lesen. Und ihm dann erst helfen. Noch ein bisschen an der frischen Luft sein, wird ihm gut tun, der alten Wasserratte. Übrigens schwimmt tatsächlich eine Horde Wasserratten auf ihn zu. Wahrscheinlich wollen sie ihn fressen. Na ja, ich lege mich jetzt hin und lese meinen täglichen Thomas Mann. Grissemann oder Thomas Mann – die Entscheidung fällt nicht besonders schwer.
    28.5.
    Liebes Tagebuch, Dänemark hat den Songcontest gewonnen. Zumindest unseren. Wir haben 39 Nacktschnecken gegeneinander antreten lassen, eine pro Starterland beim diesjährigen Grand Prix d'Eurovision de la Chanson. Sie mussten eine Zehn-Zentimeter-Sprintstrecke zurücklegen, und die dänische Nacktschnecke »Jakob Sveistrup« hat knapp gewonnen vor »Wig Warn« aus Norwegen und »Femminem« aus Bosnien. Die österreichische Nacktschnecke wurde fast Drittletzte, wurde aber kurz vorm Ziel noch überholt von der deutschen »Gracia«-Schnecke. Wir wissen nicht genau, wie die österreichischen Teilnehmer dieses Jahr heißen, darum haben wir die österreichische Schnecke einfach wieder Alf Poier genannt, der ja so etwas wie die österreichische Antwort auf Ralph Siegel zu sein scheint. Jedes Mal mitmachen. Jedenfalls hat Alf Poier immerhin die serbische Schnecke »No Name« hinter sich gelassen. Den Nacktschnecken schien es übrigens sehr peinlich zu sein, Songcontest-Starter darzustellen. Einige sind rot angelaufen.
    Liebes Tagebuch, das Langweiligste, was es für mich gibt, ist es – so rund um den Songcontest herum – gefragt zu werden: »Warum moderiert ihr den Songcontest, nicht mehr?« Um nicht selber bei der Antwort einzuschlafen, variieren wir inzwischen, wenn wir höflich antworten. Zum Beispiel: Wir moderieren den Songcontest nicht mehr aus Gründen größter Ekstase. Aus Wut. Aus Angst. Aus Berechnung. Aus Lust moderieren wir's nicht mehr. Aus falsch verstandener Eitelkeit. Aus Liebe. Aus einem überwältigenden Kinderwunsch heraus moderieren wir den Grand Prix d'Eurovision nicht mehr. Aus Furcht, Geschichte zu verfälschen. Aus Toleranz. Aus veterinärmedizinischen Gründen und aus Indiskretion. Aus einer Schwamm-drüber-Nostalgie. Aus Interesse nicht mehr. Aus pazifistischer Aggression. Und natürlich aus hygienischen Gründen. Ach, es gibt so viele Gründe, den Songcontest nicht mehr zu moderieren. Da ist für jeden was dabei.
    29.5.
    Liebes Tagebuch, die sicherste Methode gegen Hautkrebs ist es, bei FM4 in der Produktion zu arbeiten. Das ist die Abteilung, die für das akustische Layout des Senders verantwortlich ist. Wer in der Produktion arbeitet, wie zum Beispiel der Rudi Ortner oder der Andreas Schindler oder die Barbara Delgado, der oder die sieht niemals die Sonne. Dort wird gearbeitet von Sonnenuntergang zu Sonnenuntergang. Da wird gebastelt und Bässe werden zugunsten von Höhen vermindert, da überlappen Beats, und Stimmen werden gepitcht, das ganze freakige Radiozeugs eben, sodass es am Sender dann so klingt, wie es klingt. Soundtüftler, die kein Tageslicht kennen. Die rote Augen haben, weil sie in der Dunkelheit sehen können. Die dazwischen ein paar Minuten mit den Füßen an der Decke hängen, um sich auszuruhen, und dann schon wieder an ihre Geräte flattern. Ohne die FM4 klingen würde wie TW1 oder »Niederösterreich heute«. Nachtmenschen mit begnadeten Fähigkeiten, die nicht wissen, was man meint, wenn man ihnen sagt: »Ich hab mir eine Sonnenbrille gekauft, weil mich sonst die Sonne so blendet!« Da schauen sie einen fragend an. Und drehen sich um und tüfteln wieder an 1000 Schaltern.
    Liebes Tagebuch, die sicherste Methode gegen Hautkrebs ist es, bei FM4 in der Internetredaktion zu arbeiten. Durch das fehlende Sonnenlicht in den fensterlosen Räumen ganz hinten im FM4- Trakt ist natürlich die Skorbutgefahr sehr groß. Aber ohne Gefahren wäre das Leben langweilig. Ute Hölzl zum Beispiel hat noch nie die Sonne gesehen, bis auf digitalisierte Versionen auf Bildern. Sie tastet sich durch die Internetredaktion, wo nur das flackernde Licht der Bildschirme leuchtet. In der Mitte der Internetredaktion stehen große Kübel mit verschiedenen Vitaminen in Pillenform. A, B, C, D, E, alles, was halt in dunklen Räumen so gebraucht wird. Durch die ständige Arbeit an der Maus haben alle hier schmerzende Tennisarme, jedes Anklicken ist mit einem Schmerzschrei verbunden. Alles in allem wirkt es in der Internetredaktion so wie im Ruderraum einer Sklavengaleere. Also bitte

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