Speichelfaeden in der Buttermilch
Matrjoschkapuppen, die er in Affengeschwindigkeit ineinander und auseinander steckt, Luna Luce kann nur nachdenken, wenn sie dabei David Pfister am Kinn kratzt, der wiederum überhaupt nicht nachdenken kann, wenn er von Luna Luce am Kinn gekratzt wird. Alle haben eigenartige Rituale entwickelt. Nur ich nicht. Wenn mir etwas einfallen soll, denke ich einfach kurz nach, und sofort kommt die Idee. So einfach geht das.
26.5.
Liebes Tagebuch, habe schon wieder Robert Rotifer in der U-Bahn gesehen. Ich sehe ihn seit Jahren täglich in der U-Bahn oder im Supermarkt. Langsam habe ich das Gefühl, er wohnt gar nicht in London. Kann es sein, dass er uns allen bei FM4 seit Jahren ein Märchen auftischt? Dass er Wien nie verlassen hat und von Wien aus so eine Art FM4- Englandkorrespondent ist? Ich fand es immer schon merkwürdig, dass Rotifer niemandem seine Londoner Adresse sagen wollte, dass er nicht genau wusste, wie viel Euro ein Pfund wert ist. Vor allem aber war ich verwundert, dass er verwundert war, als ich fragte, wie es mit dem Verkehr in London ist, weil sie doch Linksverkehr haben. Das wusste er gar nicht und hielt es für einen Scherz. Da war mir klar, so redet nur einer, der noch nie englischen Boden betreten hat.
Liebes Tagebuch, Robert Rotifer ist angeblich gerade auf Wienbesuch. Er war in der Redaktion und hat widerwillig unsere Fragen beantwortet. Immer hat er nur von Madame Tussauds berichtet und vom Buckingham Palace. Ich habe ihn mal zum Spaß nach Piccadilly Circus gefragt und er begann zögerlich zu sagen, dass er dort einmal war, die schönen Pferde und die Clowns, Piccadilly Circus sei toll, so wie Roncalli. Ich stutzte. Er konnte mir außerdem nicht sagen, ob London eine U-Bahn hat, oder wie der Flughafen heißt, oder was man in London so isst, oder wie lange die Clubs geöffnet haben, oder welche Clubs gerade angesagt sind. Kurz, ich bin mir so wie Grissemann sicher, dass Rotifer noch nie in London war, sein klägliches Wissen hat er aus einem billigen Reiseführer. Aber ich bin kollegial und lass ihn nicht auffliegen. Ich schätze Robert Rotifer auch so. Außerdem finde ich es eigentlich schön, dass er in Wien lebt und nicht so weit weg. Und wer hat eigentlich gesagt, dass man immer dort gewesen sein muss, von wo man berichtet? Das ist doch so ein typisch spießiger Publizistikstudium-Satz, den keiner braucht. Und Robert Rotifer schon gar nicht.
27.5.
Liebes Tagebuch, wahrscheinlich mache ich gerade eine etwas lächerliche Figur, aber es ist eh niemand da, der mich sehen kann. Leider, denn lange halte ich das nicht mehr aus. Immerhin stecke ich jetzt schon mehr als 14 Stunden in diesem Fischteich fest. Ich habe das Gefühl, dass die Karpfen mich auslachen. Die FM4- Chefin Eigensperger hat ja in der Steiermark eine Fischzucht und reihum müssen alle FM4- Mitarbeiter bei der Arbeit mithelfen. Mit Zugnetzen, Teichnetzen und Schleppnetzen im Wasser stehen und die Fische kontrollieren, ihre Größe, ihr Gewicht und die Farben ihrer Kiemen. Und natürlich füttern, füttern, füttern. Die Chefin hat mehrere Teiche in unterschiedlichen Größen. Manche so klein, dass man drüberspucken kann, andere etwa so groß wie der Neusiedler See. In so einem stehe ich gerade, der Boden ist unglaublich schlammig und ich stecke mit den Gummistiefeln meiner Ganzkörper-Watthose fest im Boden. Ich kann mich nicht im Geringsten bewegen, im Arm die Doppelaalreuse und Teichabfischkescher für Jungfische. Ich weiß, dass schon viele Fischteicharbeiter so umgekommen sind. Verhungert, verdurstet oder von den Fischen totgeknabbert. Ich kann nur hoffen, dass Stermann mich aus diesem Todessumpf befreit, aber wie ich meinen faulen Kollegen kenne, liegt er auf irgendeinem Steg und liest »Moby Dick« oder irgendeinen anderen Anglerschmöker.
Liebes Tagebuch, bin nach einer herrlichen Nacht ausgeschlafen und munter wieder mit meinem Fernglas im Schilf und beobachte Grissemann, wie er da im Schlamm zappelt. Ihm ist sicher kalt, nachts wird's kühl auf dem Wasser. Wasserläufer sitzen auf seinem Haar und in seinen Ohren. Libellen krabbeln in seinen Ausschnitt, Würmer kriechen an seinem Hals. So sieht's also aus, wenn coole Radiomoderatoren der Natur ausgeliefert sind. Noch dazu, wenn sie Insektenphobiker sind, wie mein Tiroler Kollege. Immer wieder springen Karpfen und Welse aus dem Wasser und beißen ihm ins Knie. Ich sollte ihm helfen, in solchen Situationen zeigt sich wahre Freundschaft. Ich könnte mich aber auch wieder auf
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