Speichelfaeden in der Buttermilch
nie getan. Sie wissen ja, ich esse nichts Kaltes.
Ich weiß. Sie lassen sich ja sogar brennheiße Eiswürfel liefern.
Ja. Und heute hab ich ihn zum ersten Mal geöffnet, weil ich was Kaltes brauchte. Sie wissen doch, dass ich mit Wenzel-Knattek zusammenlebe, der bei mir im Garten wohnt.
Das Reh?
Ja. Ich hab für Wenzel-Knattek einen Spielkameraden gesucht, und da hab ich mich erinnert, dass Sie mir ja damals zur Fußball- WM 70 ein gefrorenes Hühnchen geschenkt und ins Gefrierfach gelegt haben.
Langweilen Sie mich nicht mit diesen öden Geschichten, Herr Grissemann. Ich halte gerade einen Vortrag über Mexiko. Und weil ich immer schon gern etwas über dieses Land erfahren wollte, interessiert mich der Vortrag natürlich.
Sie Spinner halten also diesen Vortrag vor sich selbst?
Genau. Ich stehe vor dem Spiegel, rede und höre mir interessiert zu. Wenn ich etwas nicht verstanden habe, stelle ich Zwischenfragen.
Hm. Ich jedenfalls hab vor zwei Stunden das gefrorene Hühnchen aus dem Gefrierfach geholt und dafür zum ersten Mal den Kühlschrank geöffnet. Sie werden nicht glauben, was da drin war. Eine Videokassette. Eiskalt. Bedrohlich.
Die mächtigen Bauten von Chichén Itzá auf Yucatán zeugen von der Hochkultur der Maya. Hier fand man auch den Chak Mo'ol, einen Opfergabenträger, ein imponierendes Beispiel für die Fähigkeiten der Mayabildhauer.
Bitte? Herr Stermann. Ich habe Angst, mir diese Kassette anzusehen. Wollen Sie rüberkommen und mir Gesellschaft leisten? Vielleicht ist was über Mexiko drauf.
Nein, der Vortragende hat mich eh schon ermahnt, mich zu konzentrieren und das Telefonat zu beenden. Schauen Sie sich doch Ihre blöde Kassette alleine an.
Wie denn, Sie Schlaumeier? Ich hab doch gar keinen Videorecorder. Das einzige Elektrogerät, das ich besitze, ist der Mandarinenschäler, den Sie mir geschenkt haben anlässlich der EM der transsexuellen Volleyballer 1953.
Da kann ich Ihnen nicht helfen.
Sie haben doch sieben Videorecorder. Könnte ich mir nicht einen ausleihen?
Nein. Die werden alle für den Mexico-Vortrag gebraucht. Hier laufen sieben Mexiko-Videos parallel, dazu 22 Diaprojektoren. Ein großartiger Multimediavortrag, den ich da vor mir halte. Sie müssen sich irgendwie selbst einen bauen.
Ich hab nur ein gefrorenes Hühnchen, einen Hippiekühlschrank und einen Mandarinenschäler. Sonst ist mein Anwesen völlig leer. Wie soll ich so einen Videorecorder bauen?
Versuchen könnten Sie es, Herr Grissemann. Versuchen. Wiederhörn, und viel Glück bei Ihrem Vorhaben. Hasta la vista.
Wiederhörn.
Folge 2: Der Verfolgungswahn
Stermann, muchas gracias por la llamada.
Grissemann hier, sie mexikanischer Volltrottel. Nennen Sie mich ein Genie, und Sie beleidigen mich noch damit.
¿Por qué?
Ich hab's geschafft. Ich hab aus Mandarinenschalen, einem gefrorenen Hühnerflügel und dem Stromkabel vom Kühlschrank einen Videorecorder mit Internetanschluss gebaut. Faxausgang inklusive.
Toll, Herr Grissemann. Ich hab mal aus einem alten Apfel ein Solarauto gebaut. Das Patent hat mir dann VW abgekauft.
Na ja, ich hab es einmal fertiggebracht, aus einer Fischgräte ein Trimm-Dich-Fahrrad zu basteln, das Sie mir dann weggenommen haben.
Weil ich dann aus Ihrem Trimm-Dich-Fahrrad eine Sesselliftanlage gebaut habe.
Ja, und die wiederum habe ich Ihnen abgekauft und daraus sämtliche Häuser unseres Dorfes gebaut. Aber Schwamm drüber.
Moment kurz, Herr Grissemann. Ich muss meinen aztekischen Federschmuck abnehmen, der schmerzt an der Kopfhaut. So. Haben Sie sich die Videokassette angesehen?
Ja. Es ist unfassbar. Mein ganzes Leben ist auf dieser Videokassette festgehalten. Die ganzen 56 Jahre. Szene für Szene. Meine Geburt. Meine frühen Mikadoarbeiten. Mein Selbstmord. Meine Wiederauferstehung, einfach alles. Die Videokassette dauert 56 Jahre. Ich hab's im Schnelldurchlauf gesehen. Die letzte Szene endet damit, dass ich den Kühlschrank öffne und die Videokassette raushole. Ich habe das Gefühl, dass mich irgend jemand filmt.
Mein Gott, Sie leiden unter Verfolgungswahn, Herr Grissemann.
Wahrscheinlich haben Sie recht. Sicher ist alles nur Zufall.
Herr Grissemann, wenn Sie wollen, komm ich mit Popcorn vorbei und wir schauen uns in Ruhe die ganze Videokassette von vorn bis hinten an.
Wer ist denn Popcorn?
Eine Speise, die ich aus Maiskörnern gebastelt habe.
Ja, aber haben Sie denn so lange Zeit, Herr Stermann? 56 Jahre?
Moment, ich schau mal kurz in meinen Terminkalender … ja, geht
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