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Speichelfaeden in der Buttermilch

Speichelfaeden in der Buttermilch

Titel: Speichelfaeden in der Buttermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Stermann , Christoph Grissemann
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geht ab, wenn Dimitri, Igor, Pjotr und František im Türkensitz still in einer Ecke kauern! Wodka aus dem Fingerhut, Castro-Poster, Honecker-Büsten, Krankenschein und Mausoleum! Gute Nacht, František! Schlaf gut, Igor!
    Schneewittchentorte
    »Das stinkt«, dachte die Siebenkämpferin, als es stank, und »Hm, da riecht's aber gut«, als es duftete. Sie war brillant, konnte alles sofort auf den Punkt bringen. Im Siebenkampf musste sie in fünf verschiedenen Disziplinen antreten: Hochsprung, Weitsprung, Stabhochsprung, Eisprung, Bernd Herzsprung und Vorsprung. »Das sind ja sechs Disziplinen«, sagte die Siebenkämpferin, und das Internationale Olympische Kommikaffee Komitee beschloss, den Siebenkampf der fünf Disziplinen zum Fünfkampf der sechs Disziplinen zu machen. Sportlich war sie am Zenit, aber privat ging alles drunter. Sie hatte sich in ein Pferd aus der Pferdefleischhauerei verliebt. Eine 69jährige süddeutsche Stute mit leichter Gehbehinderung. Die kranke Stute und die Siebenkämpferin gingen oft zusammen spazieren, schwimmen, bummeln oder ins Autokino. Sie verstanden sich toll, beide liebten den Schlagersänger Benny Bumsmann, und beide interessierten sich für das chinesische Horoskop, denn im chinesischen Horoskop war die Siebenkämpferin ein Pferd. Das Pferd übrigens auch wieder Pferd. Das verband sie.
    Bei Sportveranstaltungen sah man die lahme Stute oft auf der Tribüne sitzen und Hufeisen drücken.
    1995 war ein düsteres Jahr ihrer Beziehung. Der Fleischermeister entschied, dass die inzwischen 74jährige lahme Stute geschlachtet und zu 38 Leberkässemmeln verarbeitet werden sollte.
    Während die Siebenkämpferin nichts ahnend beim Siebenkampf-Meeting in Götzis im Eisprung verdiente 34. wurde, endete ihre Freundin in der Vitrine der Fleischhauerei, in 38 Stücke geteilt.
    Als die Siebenkämpferin erfuhr, was ihrer Freundin widerfuhr, fuhr sie sofort in die Fleischhauerei, erschoss den Fleischermeister und kaufte der glücklichen Witwe ihre in 38 Stücke zerrissene Freundin ab. Mit den 38 Leberkässemmeln sah man sie fortan bei jedem Benny Bumsmann-Konzert. Warum denn auch nicht? Wo leben wir denn, dass man nicht mit 38 Leberkässemmeln zusammenleben kann? Das ist doch ein aufgeklärtes Land, wir leben nicht mehr in den 50er Jahren!
    Nur beim Sex gab's wegen dem Senf manchmal Probleme. Oder muss man korrekterweise sagen »wegen des Senfes«? Fragt man die Siebenkämpferin, sagt sie klar und eindeutig: »Wegen des Senfes. Genitiv!«
    Der Genitiv von Schneewittchentorte übrigens ist »Schneewittchentorte«.
    Mag. Inge Sämann dazu in ihrer Promotionsschrift »Abschwellender Bocksgesang. Kulturkritik im Schweinehälftenkostüm«:
    Dieses kleine Prosa-Stück aus der mittleren Schaffensperiode des österreisch-deutschen Autorenkollektivs zählt zweifellos nicht zu seinen stärksten. Nichtsdestotrotz darf es in dieser literaturwissenschaftlichen Dissertation zur Erreichung des akademischen Grades Dr. phil. nicht fehlen, verfolgt diese doch einen dezidiert interdisziplinären Ansatz und sucht den engen literaturwissenschaftlichen Fokus nach Möglichkeit um literatursoziologische, historische und kulturwissenschaftliche Perspektiven zu erweitern. Grisse- und Stermanns »Schneewittchentorte« verdankt ihren Platz in dieser Gesamtdarstellung eben jenem fächerübergreifenden Anspruch. Jüngste lebensmittelhygienische und verbraucherpolitische Entwicklungen gaben und geben dieser Prosa-Miniatur um die Verarbeitung einer 69jährigen kranken Stute zu 38 ungekühlten Leberkässemmeln ohne Zweifel eine ganz besondere Aktualität. Gerade vor dem Hintergrund der jüngsten Ekel- respektive Gammelfleisch-Skandale beweisen die kultur- und zivilisationskritischen Gleichnisse der beiden Autoren ein weiteres Mal deren ausgeprägtes antizipatorisches Gespür.
    Freilich mag es an dieser Stelle durchaus angeraten scheinen, aus genderwissenschaftlicher Perspektive vom Einsatz der Sodomie-Metapher als Sinnbild einer sich von ihrem Reproduktionszweck emanzipierenden weiblichen Sexualität zu handeln. Die Topoi Homosexualität und platonische Liebe zu Tieren – insbesondere wenn deren literarische Ausgestaltung von vergleichbaren Topoi in der erotischen Hirtenpoesie der Anakreontiker abweicht – zählen indes nicht zu meinen Fachgebieten. Ich werde wohl Kontakt zu den Kollegen vom Berliner Institut für Geschlechterforschung aufnehmen müssen, um dann gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt ausführlicher von den

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