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Speichelfaeden in der Buttermilch

Speichelfaeden in der Buttermilch

Titel: Speichelfaeden in der Buttermilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Stermann , Christoph Grissemann
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elektrischen Rollstuhl losfuhr, tat das höllisch weh, aber wir ließen uns nichts anmerken, wir wollten nicht behindertenfeindlich wirken. Blutüberströmt und mit den Nerven am Ende warteten wir sehnsüchtig darauf, dass er stehenblieb. Leider blieb er damals sehr selten stehen, denn er trainierte für die Special Olympics, für den Marathon.
    Gegen 20 Uhr kettete er uns los und wünschte uns höflich einen guten Abend. Wir versuchten das Beste aus dem Rest des Tages zu machen. Wir gingen, obwohl uns das Fleisch aus der aufgeplatzten Haut hing und Reifenspuren quer über die offenen Wunden liefen, noch ein gemütliches Bier trinken und zwei, drei Runden Biliard spielen.
    Überflüssig zu erwähnen, dass uns ins diesem Zustand selbstverständlich kein Gasthaus und erst recht kein Billardcenter reingelassen haben. Mit anderen Worten: Wir haben nie ein gemütliches Bier getrunken und auch nie zwei, drei Runden Billard gespielt. In Wahrheit war es so, dass uns der Hausmeister nach dem Abketten mit Bier überschüttet hat und uns mit zwei, drei gigantischen Billiardqueues in die Küche prügelte, um uns dort an den glühenden Toaster zu ketten. Wir konnten nachts wegen der starken Verbrennungen an unseren Händen kaum schlafen. Das machte den Hausmeister regelmäßig wütend, dass wir morgens immer so unausgeschlafen waren. Um uns zu disziplinieren, kettete er uns jeden Morgen an den 6.17 Uhr-Zug Wien–Basel–Wien, aus seinem Behindertenabteil winkte er uns fröhlich zu. Oft fragten wir uns, warum wir das alles mit uns machen ließen. Nun, es lag wohl daran, dass damals der Hausmeister der einzige Mensch in unserem Umfeld war, der uns einigermaßen nett behandelte, und wir wollten diese Freundschaft nicht durch unnötige Kritik aufs Spiel setzen. Wir hätten durch Widerworte wahrscheinlich auch die gemeinsamen Spielnachmittage gefährdet. Das hübscheste war das Würfelspiel. Alles, was man, laut unserem Hausmeister, dafür braucht, ist ein Würfel und eine Eisenstange. Einer – in unserem Fall jedesmal der Hausmeister – hat eine Eisenstange, und die anderen, also wir, haben einen Würfel. Würfelten wir zum Beispiel eine Vier, schlug uns der Hausmeister viermal mit der Eisenstange in »unsere blöde Fresse«, wie er es reichlich uncharmant ausdrückte. Aber so war er nun mal: rauhe Schale, rauher Kern.
    Der traurigste Tag in unserem Leben war der Tag, an dem unser Hausmeister starb. Es war ein schrecklicher Tod. Der Tag hatte ganz harmonisch begonnen. Er hatte uns angekettet, unsere Hände verbrannt und wollte wieder würfeln, dieser verspielte Lausbub. Wir würfelten eine Sechs nach der anderen, und der arme Teufel hatte alle Hände voll zu tun, uns in unsere blöden Fressen zu schlagen. Er wirbelte mit der Eisenstange, dass es eine Art hatte. Unser Blut spritzte, dass es eine Freude war. Doch dann passierte das Unfassbare. Der arme Kerl hatte wohl mit der Stange zu kräftig ausgeholt. Er fiel aus dem Rollstuhl und ertrank kurze Zeit später in unserer Blutlache.
    Wir konnten nichts tun, wir waren ja festgekettet. Bis heute verzeihen wir uns nicht, dass der freundliche Hausmeister unseretwegen gestorben ist.
    Vielleicht lassen wir uns irgendwann wieder einmal an einen Rollstuhl fesseln, aber vorher, vorher lassen wir uns noch ordentlich von Funk und Fernsehen kaputtmachen.

Als wir noch nicht von Funk und Fernsehen
kaputtgemacht geworden sind,
    spielten wir in tschechischen Kinderfilmen untergeordnete Rollen. Meistens wurden wir als Magd eingesetzt. Der Regisseur zog uns Schürzen an und flocht uns Zöpfchen, in die Hände bekamen wir kleine Strohkörbchen. Man sah uns in all den Jahrzehnten nur einmal ganz kurz im Hintergrund eines Zeichentrickfilms. Wir liebten Zeichentrickfilme, vor allem pornographische Zeichentrickfilme, die nicht gezeichnet waren, sondern echt. In den Drehpausen standen wir oft mit unseren Körbchen, Zöpfchen und Schürzchen vor einem kleinen Schwarzweißfernseher in der Statistengarderobe und guckten Porno, zusammen mit Pan Tau.
    Pan Tau war es auch, der uns auf die Idee brachte, europäische Haustiere in exotische Länder zu schmuggeln. Er, Tau, schmuggle schon seit Jahren Pudel nach Madagaskar und Hamster nach Sri Lanka und habe sich damit eine goldene Nase verdient. Und tatsächlich, seine Nase war aus echtem Gold. Wir bewunderten ihn, winkten aber ab und sagten: »Nee, du, lass mal, ist keine so gute Idee, wir möchten lieber hier mit unseren Zöpfen und Schürzen Porno gucken,

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