Spektrum
Leben stand hier keine Sekunde lang still. Wenn auf Arank bereits eine Stadt wie Tirianth als Kloake galt, wie durfte er sich dann die anderen Orte vorstellen? Zum zweiten Mal besuchte er jetzt Arank – und so wenig hatte er bislang gesehen und verstanden.
Am Himmel leuchteten – zwischen den Lichtern kaum auszumachen – ferne und fremde Sterne. Auf einigen war er gewesen, andere würde er noch besuchen, manche würde er nie sehen.
Ein Schmerz breitete sich in seiner Brust aus, und er verspürte eine solche Bitterkeit, wie man sie nur nach verheerenden Niederlagen empfindet. Seine Jagd nach Irina Poluschkina war zu Ende. Alle Sterne würde er nicht absuchen. Jeder Planet, den die Schließer in ihr Transportnetz integriert hatten, wartete mit einer Besonderheit auf. Wo konnten da die anderen vier Irinas sein? Auf dem uralten Planeten Galel, auf dem der Biologe David beobachtet hatte, wie ein Satellit zum Leben erwachte? In den wahnsinnigen Welten der Dio-Daos? Auf einem verödeten toten Planeten, auf dem übereifrige Wissenschaftler ein weiteres Artefakt ausgruben? Was verband die linguistischen Fingerübungen auf Bibliothek, die archäologischen Grabungen auf Prärie 2 und die Suche nach der Seele auf Arank?
Alle Welten konnte er nicht absuchen.
Woran Martin indes keinen Zweifel hegte – und dies war das Traurigste von allem –, war, dass Irinas Schicksal besiegelt war. Drei Todesfälle hintereinander, drei tragische Todesfälle – das konnte kein Zufall sein.
Es würde noch vier weitere geben.
Doch woher nahm er eigentlich die Gewissheit, dass die übrigen Irinas noch lebten?
Martin starrte auf Irinas Jeton. Was soll’s? Es war an der Zeit, Ernesto Semjonowitsch Bericht zu erstatten. Er hatte den Auftrag nicht auszuführen vermocht. Allerdings hätte das menschliche Kräfte wohl überstiegen.
Dennoch blieb Martin bis zum Morgen am Fenster sitzen, sog die Luft einer fremden Welt ein und überließ sich seinen Gedanken über die Schließer, die Aranker und über Irotschka Poluschkina.
Fünf
Wieder kam Martin nachts in Moskau an. Die Sprünge durch die Galaxis nahmen ihn stärker mit als ein Flug von einer Zeitzone in die andere, veränderten sich dabei doch sowohl die Luft wie auch die Gravitation – der gestörte Rhythmus von Tag und Nacht bedeutete da noch das geringste Übel.
Ein träger, behäbiger Grenzer kontrollierte seine Papiere und stempelte das Einreisevisum hinein. Ein Verhör zu dem ewigen Thema »Wie schaffen Sie es, so häufig zu reisen?« unterblieb. Worüber Martin nur froh war.
Martin hing alles dermaßen zum Halse heraus, dass er mit dem Taxi nicht viel Aufhebens machte und sich gleich an der Station eins nahm, dabei ohne zu feilschen den überhöhten Preis akzeptierte. Der enthusiasmierte Fahrer unterhielt ihn den ganzen Weg mit den aktuellsten irdischen Neuigkeiten.
Interessantes boten diese Neuigkeiten nicht. Letzten Endes war Martin eben doch kein Fußballfan, aus Politik machte er sich grundsätzlich nichts, der übliche Fall des Dollars im Vergleich zum Euro entsetzte ihn nicht, sondern freute ihn eher.
Am Hauseingang kramte Martin lange nach dem Schlüssel, bis er ihn am Boden des Rucksacks fand – und keineswegs dort, wo er ihn beim Packen seiner Sachen verstaut hatte. Anscheinend war bei der Kontrolle auf Arank alles durcheinandergeraten. Oder bereits bei jener auf Prärie 2? Bei dieser Reise ging einfach alles schief …
Als er schließlich in seiner Wohnung ankam, konnte Martin es kaum erwarten, das Bad aufzusuchen. Er entkleidete sich, wusch sich lange und genüsslich ab, mummelte sich in einen weiten Bademantel und schielte zu seinem Spiegelbild hinüber. Ein Aranker, wie er im Buche stand. Noch eine Tjubetejka auf den Kopf … Oder trugen nur ihre Kinder diese Käppchen? Als Martin darüber nachsann, kam er zu dem Schluss, dass es sich genau so verhielt: Die erwachsenen Aranker zogen es vor, auf eine Kopfbedeckung zu verzichten.
Nach dem Bad steuerte Martin die Küche an, bewaffnete sich mit einem belegten Brot, das – wie vulgär, ja, nachgerade plebejisch – aus Brot, Käse und Kochwurst bestand und das er obendrein reichlich mit süßem, bourgeoisem Senf beschmierte, brühte sich einen Beutel grünen Tees von Twinings auf, der mit Jasminblütenblättern aromatisiert war, und wanderte in sein Arbeitszimmer. Schlafen wollte er ohnehin nicht, insofern konnte er getrost die eingegangene Post durchsehen, im Internet surfen und beispielsweise in Erfahrung
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