Spektrum
Tabletten. Blister, fiel es Martin wieder ein, Blister hieß eine derartige Verpackung. Eine schöne Bezeichnung, beinahe Science Fiction: Er zog seinen treuen Blister …
»Gemütlich haben Sie es hier«, meinte sein Besucher, der gewartet hatte, bis Martin die Tablette zerkaut und mit einem Glas Mineralwasser heruntergespült hatte. Das Zimmer heimelte nicht wirklich an, es war schlicht ein Arbeitszimmer in einer Durchschnittswohnung. Ein Tisch mit Computer, zwei Sessel, Bücherschränke und in einer Ecke ein Waffenschrank. Insofern ging Martin nicht auf das Kompliment ein, das er einzig der Höflichkeit geschuldet sah. »Sie sind also Martin?«
»Vermutlich haben Sie schon Fotografien von mir gesehen?«, brummte Martin. »Ja, ich bin’s.«
»Ein seltener Name in unseren Breiten«, bemerkte der Gast tiefsinnig.
Innerlich explodierte Martin. Der Name war das, was er seinen Eltern niemals verzeihen würde. In der frühen Kindheit hatte ihn alle Welt »Gänserich« genannt – der Zeichentrickfilm über den kleinen Nils, der auf dem Gänserich Martin über Skandinavien hinwegfliegt, lief in regelmäßigen Abständen im Fernsehen. Und daran, wie dieser Name in Verbindung mit seinem Vatersnamen Igorjewitsch klang, dachte er lieber gar nicht erst.
»In unseren Breiten– wie auch Längengraden«, bestätigte Martin. »Meine Eltern haben Jack Londons Martin Eden geliebt. Habe ich Ihre Neugier damit befriedigt?«
Der Besucher nickte. »Wie gut, dass ihnen nicht Alexander Grin gefiel«, meinte er. »Ein seltener Name ist doch wohl weitaus besser als ein ausgedachter, oder?«
Während Martin ihn ansah, lag ihm schon auf der Zunge zu sagen: »Was hast du schon über Grin zu urteilen?« Aber er urteilte!
»Und wie hätte ich in dem Fall heißen können?«, wollte Martin wissen.
»Oh«, der Besucher taute auf. »Da gäbe es unzählige interessante Varianten! Drud. Sandy. Grey. Steele. Colomb. Außerdem hätten sich Ihre Eltern noch für Politik begeistern können. Revolutionäre Romantik … Fidel Olegowitsch, zum Beispiel. Glauben Sie mir, das ist noch schlimmer!«
»Ich gebe mich geschlagen …« Martin breitete die Arme aus. »Ich bin ganz Ohr, mein geheimnisvoller Unbekannter.«
Der Gast genoss seinen Triumph indes nicht. Vielmehr zog er aus der Jacketttasche seinen Ausweis und reichte ihn Martin.
»Ernesto Semjonowitsch Poluschkin«, las Martin mit halblauter Stimme. Er hob den Blick, nickte und gab den Ausweis zurück. »Wie gut ich Sie verstehen kann … Wollen wir zur Sache kommen?«
»Sie sind ein Privatdetektiv, der auch außerhalb der Erde arbeitet«, fing Ernesto Semjonowitsch an. »Das stimmt doch, oder?«
Martin schämte sich seiner Arbeit nicht und machte seiner Familie gegenüber einzig wegen der altmodischen Einstellung seines Onkels und um seine Mutter nicht zu beunruhigen ein Geheimnis daraus. Er selbst bevorzugte den Ausdruck »Kurier«, doch im Grunde übte er tatsächlich den ebenso häufig besungenen wie bespöttelten Beruf eines Privatdetektivs aus. Gefahrvoll war diese Tätigkeit entgegen der landläufigen Meinung jedoch nicht aufgrund der Vielzahl der auf sein Herz gerichteten Kugeln, sondern aufgrund der Unmenge erhaltener Ohrfeigen und miterlebter hysterischer Ausbrüche.
»Lassen Sie mich Ihnen das erklären«, sagte Martin. »Wie sich herausgestellt hat, können manche Menschen die Schließer mit ihren Geschichten gewinnen, andere nicht. Und es hat sich herausgestellt, dass ich das ganz vorzüglich vermag. Deshalb gehe ich dieser Arbeit nach, die eher die eines Kuriers ist. Ihre geliebte Frau hat sich auf eine Reise durch andere Welten begeben? Dann finde ich sie und übergebe ihr einen Brief von Ihnen. Und falls sie sich keine Geschichte für die Heimkehr ausdenken kann, stelle ich ihr eine zur Verfügung. Ihr Geschäftspartner lebt in der anderen Welt? Dann arbeite ich als Bote. Sicher, durch die Großen Tore schafft man keine schweren Lasten, aber es handelt ja auch nicht jeder mit Alteisen und Holz. Aber zehn, zwanzig Kilogramm kann ich transportieren … seltene außerirdische Medizin, Gewürze, Skizzen und Pläne von auf der Erde unbekannten Vorrichtungen. Drogen zu liefern sollten Sie mich allerdings nicht bitten. Erstens werden diejenigen, die durch ein Tor kommen, kontrolliert. Zweitens bin ich ein prinzipieller Gegner von psychotropen Mitteln. Dagegen können Sie mich gern bitten, einen geflohenen Schuldner oder einen betrügerischen Geschäftspartner zu finden, selbst
Weitere Kostenlose Bücher