Spektrum
wenn ich mir in dem Falle noch überlegen würde, ob ich den Auftrag annehme. Ich bin nämlich beileibe kein Superman. Außerdem bin ich kein Killer. Ich möchte mein Leben nur ungern aufs Spiel setzen, damit jemand anders Rache üben kann.«
»Und wenn man Ihnen ein solches Angebot machen würde?«, fragte Ernesto. Er hatte Martin sehr aufmerksam zugehört.
»Ist das bereits ein Angebot?«, hakte Martin nach.
»Es ist eine Frage.«
»Ich selbst habe es nicht gelernt, auf solche Fragen zu antworten«, erwiderte Martin mit enttäuschtem Unterton, während er sich erhob. »Aber ich habe eine Telefonnummer, die ich Ihnen geben könnte, von einem Menschen, der Ihnen an meiner Statt das Nötige sagt.«
Lächelnd blieb Ernesto Semjonowitsch sitzen. »Ich habe wirklich nicht die Absicht, Ihnen ein solches Angebot zu unterbreiten, Martin. Es war pure Neugier. Ich weiß, wer seine schützende Hand über Sie hält, wer Ihr Patron ist. Ich weiß sogar, warum man Ihnen diesen Dienst erweist. Ich könnte versuchen, diese Personen umzustimmen … Aber darauf habe ich es wirklich nicht angelegt.«
»Dann kommen wir endlich zur Sache«, erwiderte Martin und nahm wieder Platz. Vielleicht lag es an dem manierierten Namen oder gewissen Nuancen im Auftreten – doch der morgendliche Klient gefiel ihm. Nur ungern hätte er von ihm den leicht bemäntelten Vorschlag vernommen, einen von der Erde geflohenen Schuldner ausfindig zu machen, um dessen Leben ein Ende zu setzen. Freilich ging Martin aufgrund seiner langjährigen Erfahrung ohnehin nicht von einem derart banalen Anliegen aus. Mit solchen Angeboten wandten sich schlichtere Gemüter an ihn.
Ernesto druckste herum. Verborgen hinter der gelassenen Ironie und dem augenfälligen, an Martins Adresse gerichteten Wohlwollen rekelte sich eine leichte Sorge und gewisse Unsicherheit. Als wolle er eine ebenso traurige wie peinliche Geschichte beichten: Von seiner untreuen Frau, die mit seinem besten Freund durchgebrannt war, von einem schlitzohrigen Betrüger, der ihm die Katze im Sack angedreht hatte, über die Leidenschaft, in der er überraschend für ein blutjunges, kreuzdämliches Fotomodell entbrannt war, oder über die Notwendigkeit, an ein teures und sehr seltenes Aphrodisiakum vom Planeten Kanaan zu gelangen.
Martin wartete mit zur Schau gestellter Höflichkeit, darauf bedacht, sein Gegenüber nicht zu drängen und die eigene Neugier zu verbergen. Seriöse Menschen lieben es gar nicht, um etwas zu bitten. Doch so, wie die Situation sich gestaltete, war es nun einmal an Ernesto Semjonowitsch, in die Rolle des Bittstellers zu schlüpfen. Im Übrigen musste er ein starker Mann sein, da ihm der Name Poluschkin, der gemeinhin an ein kleines Schnäpschen denken ließ, in seinen tagtäglichen Geschäften nicht zum Nachteil gereichte. Ein anderer hätte ihn vielleicht, kaum volljährig geworden, abgelegt, doch Ernesto trug ihn voller Stolz, als handle es sich um ein Banner, das über einer belagerten Festung weht.
»Die Geschichte ist fürchterlich banal«, sagte Ernesto. »Darf ich mir vielleicht erlauben …?«
»Ja«, erwiderte Martin mit einem Blick auf Zigarrenetui, Feuerzeug und Guillotine, die sein Gast plötzlich in der Hand hielt. »Vielen Dank.«
Die Zigarre nahm er mit Vergnügen an, obgleich er im Allgemeinen nicht dem Gift namens Tabak huldigte. Es schien ihm jedoch klüger, bisweilen eine Zigarre zu rauchen, als sich alle halbe Stunde mit Zigarettenqualm zu vergiften.
»Eine echte Havanna«, bemerkte Ernesto beiläufig. »Kürzlich bin ich auf Kuba gewesen, da habe ich welche mitgebracht … In Moskau sind eh bloß Imitate im Handel …«
Derart banale Sätze, so ging es Martin durch den Kopf, gaben gewöhnlich Menschen von sich, die nichts von Zigarren verstanden, sie nicht aufzubewahren wussten und keine Ahnung hatten, wo sie sie kaufen sollten. Die Havanna stellte sich jedoch in der Tat als hervorragend heraus – weshalb Martin sich ausschwieg.
»Wie ich bereits sagte, ist es eine sehr banale Geschichte, Martin. Ich habe eine Tochter. Sie ist siebzehn Jahre alt … zweifellos ein idiotisches Alter. Das Mädchen hat sich einfallen lassen, eine kleine Expedition zu unternehmen … Sie ist durchs Tor gegangen. Ich möchte Sie bitten, sie zu suchen und nach Hause zu bringen. Wie Sie sehen, eine höchst einfache Angelegenheit.«
»Eine außergewöhnlich einfache«, pflichtete Martin ihm bei. »Und sehr banal … Siebzehn, sagten Sie?«
Ernesto nickte.
»Hat sie
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