Spektrum
nickend.
Neugierig verfolgte Martin das Gespräch. Bei allen Ungereimtheiten ihrer gesellschaftlichen Strukturen, den unzähligen Zeremonien und den seltsamen Gesetzen, die die Geddarn hatten, standen sie den Menschen letzten Endes doch sehr nahe. Mit Vergnügen übernahmen sie die technischen Errungenschaften der menschlichen Gesellschaft oder versuchten es zumindest. Die Errungenschaften der Aranker begeisterten sie zwar noch stärker, ihre Weltsicht lehnten sie allerdings entschieden ab.
Die Dio-Daos hingegen waren von Grund auf anders.
Das kurze Leben hinderte sie nicht, ihre Wissenschaft voranzutreiben. Ein gelehrter Vater gab sein Wissen an den Sohn weiter, worauf die Forschungen weitergingen. Fast immer vererbten die Dio-Daos professionelle Kenntnisse an eines ihrer Kinder, das diesen Beruf dann nicht ablehnen konnte – und das auch gar nicht wollte. Seine Brüder – in der Regel bekamen die Dio-Daos zwei, manchmal drei Kinder – vermochten den Beruf freier zu wählen, doch auch sie führten in der Regel die Familientradition fort.
Mit der Umsetzung wissenschaftlicher Entdeckungen in die Praxis ließen sich die Dio-Daos freilich Zeit. In vielen Häusern gab es einen Fernseher, etliche sahen darin indes keine Notwendigkeit. Die Dio-Daos hatten die Kosmonautik erfolgreich entwickelt, die alle paar Jahre startenden Raumschiffe hatten bereits die vier Planeten ihres Sternensystems besucht, davon wurde jedoch in der Gesellschaft kein großes Aufhebens gemacht. Die Dienste der Schließer nutzten die Dio-Daos ohne zu zögern, sie schufen eine Reihe von Kolonien, aber ihre Expansion verlief nicht überstürzt, eher hatte man den Eindruck, die Dio-Daos erwiesen jemandem einen Gefallen, indem sie diese öden Welten besiedelten. Seit hundert Jahren waren auf dem Planeten Atomreaktoren in Betrieb, gleichwohl produzierten einen Großteil der Energie auch weiterhin Wärme– und Wasserkraftwerke. Anscheinend hatten die Dio-Daos einen absolut unbedenklichen, umweltverträglichen und leistungsstarken Kernfusionsreaktor entwickelt, den sie bislang jedoch noch nicht bauten. Ein Computer in einem Privathaushalt war eine unerhörte Rarität, andererseits existierten Maschinen, die jedes irdische Pendant – und Gerüchten zufolge sogar die Computer der Aranker – ausstachen.
Wenn das Leben so kurz ist, hat es keinen Sinn, etwas zu übereilen.
Wem es nicht vergönnt ist, ein Hemd abzutragen, der schert sich nicht um Mode.
Und mochte noch so vieles die Dio-Daos von den Menschen trennen, konnte Martin sie doch verstehen. Dem Geddar bereitete das größere Probleme.
Während Herbstgeborener telefonierte, bediente er sich des Touristischen, was ebenso der Höflichkeit geschuldet sein konnte wie auch dem Wunsch, eine Übersetzung, die pure Zeitverschwendung gewesen wäre, zu umgehen.
»Lebe, Langdenkender. Hier ist Herbstgeborener. Ja, ich lebe noch. Vermutlich heute Nacht. Vielen Dank. Ein Freund aus einer anderen Welt ist bei mir zu Besuch, der Mensch Martin. Ja. Er hat mich um Hilfe gebeten, und jetzt bitte ich dich. Vor etwa einer Woche ist eine Menschenfrau zu uns gekommen, ihr Name ist Irina Poluschkina. Stimmt das?«
Die Pause in dem Gespräch währte nicht lange. Herbstgeborener blickte zu Martin hinüber. »Du hast recht«, sagte er. »Sie ist bei uns … Vielen Dank, Langdenkender. Wann hat die Menschenfrau die Grenze passiert und wo hält sie sich gegenwärtig auf? So lange? Ach ja? So schnell? Vielen Dank, Langdenkender. Lebe wohl.«
Herbstgeborener steckte Mikrofon und Lautsprecher wieder in die Basis. »Die Frau Irina brachte drei Tage mit der Grenzkontrolle zu«, sagte er dann. »Sie hat Probleme, sich zu konzentrieren, Martin.«
»Das steht außer Frage«, pflichtete ihm Martin bei.
»Danach hat sie sich unverzüglich in das Tal Gottes aufgemacht.«
»Was ist das?«
»Der Ort, an dem unser religiöser Kult praktiziert wird«, erklärte der Dio-Dao unerschüttert.
»Die junge Frau hat mit Sicherheit ihr Interesse an Religionen entdeckt«, erklärte Martin. »Bei den Arankern hat sie die Seele gesucht, jetzt beschäftigt sie sich mit eurer Theologie … Ich bin kein Experte für euren Glauben, Herbstgeborener. Du hast mir aber einmal gesagt, dass ihr fremde Religionen achtet, bist dabei jedoch nicht näher auf eure eigene eingegangen.«
»Ich kann dir davon erzählen«, mischte sich der Geddar überraschend ein. »Sie sind in religiöser Hinsicht keineswegs tolerant. Vielmehr sind sie Polytheisten und
Weitere Kostenlose Bücher