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Spektrum

Spektrum

Titel: Spektrum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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rief Martin. »Oder glaubst du wirklich, Gott hätte interstellare Reisen verhindert?«
    »Warum denn gleich Gott?« Irina erhob jetzt ebenfalls die Stimme. Dann fügte sie bescheiden hinzu: »Ich bin nicht einmal von seiner Existenz überzeugt, schließlich habe ich überprüft … Das Transportnetz war zerstört worden, die Zivilisationen der Barbarei überlassen – darum geht es hier, Martin! Wer das getan hat – Gott, die Erbauer des Transportnetzes oder ihre Feinde –, spielt überhaupt keine Rolle. Wichtig ist nur, dass sich alles wiederholen könnte. Davon wären abermals alle Planeten, die ungefragt an das Transportnetz angeschlossen wurden, betroffen. Dieser Schlag käme von jemandem, der weitaus stärker ist als die Schließer …«
    »Also …« Martin stockte. Zugegeben, in Irinas Worten steckte ein wahrer Kern. »Dann sag mir mal, wie wir die gegenwärtige Situation ändern wollen? Du hast doch selbst erklärt, dass die Schließer nie um Erlaubnis für ihr Tun fragen. Drohungen fruchten bei ihnen auch nichts, insofern sitzen deine einzelligen Freunde einem Irrtum auf, wenn sie auf Erpressung hoffen.«
    »Willst du die Wahrheit denn nicht herausfinden?«, fragte Irina.
    »Ich?« Empört schüttelte Martin den Kopf. »Was willst du denn da noch rauskriegen? Wie viel Geld die Oligarchen auf ihren Konten haben? Mit wem die Mitglieder einer Regierung ins Bett gehen? Wer Kennedy ermordet hat und wer eigentlich hinter dem Anschlag auf das World Trade Center steckt? Der Preis für abstrakte Neugier ist höchst konkret, weißt du?«
    »Was ist, ziehst du jetzt den Schwanz ein?«, brachte Irina erstaunt hervor.
    Das konnte Martin nur mit Empörung quittieren.
    Er selbst hielt sich nicht für einen Feigling, hatte kein Verhalten an den Tag gelegt, das einen solchen Schluss zuließe. Gewiss, er spielte nicht gern mit dem Feuer, aber …
    »Wozu?«, rief er. »Wenn wir sowieso nichts ändern können, wozu sollen wir das dann alles herausbekommen?«
    In Irinas Blick lag unverkennbar Mitleid. »Und wozu hast du mich gesucht?«
    »Ich wollte dir helfen … dich retten.« Martin lachte verlegen auf. »Na ja, sagen wir mal, du hast mir gefallen.«
    »Das ist alles?«
    »An abstrakter Neugier, wo du bist und was du treibst, habe ich nicht gelitten!«
    Anscheinend brachte das Irina aus dem Konzept. Für sie war die Welt noch klar und jung, eine Tat verlangte noch nicht nach Argumenten, Dummheit nicht nach Rechtfertigungen.
    »Schade«, bedauerte sie. »Verzeih … en Sie mir. Es war falsch, Sie nach Bessar zu holen.«
    »Ira, ich möchte, dass du auf die Erde zurückkehrst«, sagte Martin.
    »Irgendwann werde ich das auch«, erklärte Irina. »Aber momentan … Tut mir leid. Morgen früh werden wir zur Welt der Schließer aufbrechen.«
     
    Als am Abend die hellblaue Sonne am Horizont unterging, saß Martin vorm Eingang der Holzpyramide, die er und Irina für die Nacht zugeteilt bekommen hatten. Die tosenden, von den Sonnenstrahlen durchbohrten Wellen bildeten einen bizarren Bildschirm, über den ein Dokumentarfilm aus dem Leben Bessars lief. Nach wie vor huschten diffuse Schatten durch die dunkelblaue Substanz, nur ließen sich jetzt im schimmernden Licht die Geißelfäden vorzüglich erkennen. »Wildtiere«? »Haustiere«? Eine »Viehherde«? »Nutzfische«? So oder so, es waren alles Protozoen … Am Boden standen Bäume, begraben unter einer Schicht dieser Substanz, aber dennoch den irdischen frappant ähnlich. Winzige Bakterien schwirrten zwischen den Zweigen herum. Ob sie weideten?
    Melancholisch nippte Martin an seiner Flasche, in der nur noch wenig Kognak verblieben war. Ihm fiel ein beliebtes Buch ein, das er in seiner Kindheit gelesen hatte. Die jungen Helden waren in den Organismus eines Menschen geraten und hatten sich mit den Leukozyten angefreundet, gegen Bakterien gekämpft, waren durch die inneren Organe gereist, hatten selbst den Darm nicht ausgelassen – kurzum, sie unternahmen eine lehrreiche und zugleich spannende Exkursion.
    Kämpfen musste Martin zum Glück gegen niemanden. Allein bei der Vorstellung, sich mit einer dieser riesigen Amöben zu schlagen, wurde ihm mulmig. Die Exkursion faszinierte ihn allerdings.
    »Störe ich?«, fragte hinter ihm jemand einschmeichelnd. Bessarianer bewegten sich sehr leise. Nachdem Martin sich umgedreht hatte, kam er zu dem Schluss, Pawlik vor sich zu haben. Einladend winkte er ihn mit der Hand herbei.
    »Ist das Alkohol?«, wollte die Amöbe wissen. »Um die

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