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Spektrum

Spektrum

Titel: Spektrum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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junge Frau heran. Sie beide waren allein in der hölzernen Pyramide, in dem kleinen Zimmer unter der Spitze. Woher wussten die Bewohner dieses Planeten, die in einer Welt von fließenden Formen lebten, überhaupt, was ein Winkel war? Und gefielen ihnen diese scharfen, groben Konturen? Anscheinend doch. Schließlich dürfte dieses Gebäude nicht zufällig kultischen Zwecken dienen. »Stammt der Baum von hier, Irina?«
    »Natürlich.«
    Zweifelnd kratzte Martin mit dem Finger am Holz. Jetzt verstand er auch, nach welcher Vorlage die Schließer die Innenausstattung der Station kopierten.
    »Aber die Bäume sind mehrzellig?«
    »Ja«, meinte Irina nickend. »Die Pflanzen haben sich weiter entwickelt. Die anderen Organismen haben dagegen nur an Größe gewonnen. Erstaunlich, nicht wahr?«
    Martin nickte. Freilich hatte er bereits genug Erstaunliches erlebt, als dass ihn die Kapriolen der lokalen Biologie zu überwältigen vermocht hätten.
    »Weit erstaunlicher finde ich, dass du lebst.«
    »Steht es so schlimm?«, fragte die Frau.
    »Ja. Übrigens haben wir auf Prärie 2 ein paar Worte miteinander wechseln können …«
    »Daran erinnere ich mich …«, unterbrach Irina ihn und runzelte die Stirn.
    »Wie kannst du dich daran erinnern?«, fragte Martin sie unumwunden. »Ira … leg die Karten auf den Tisch.«
    Die Frau lachte leise. Nicht verletzend. Sie hatte etwas an sich, über das bei Gott nicht alle Frauen verfügten … Martin wusste nicht einmal, wie er diese Eigenschaft nennen sollte: Un-weibisch?
    Sicher, das klang ungelenk, traf auch nicht hundertprozentig zu. Wenn ein Mann aus vollem Herzen »Weiber!« sagt, dann legt er in dies Wort all die Vorbehalte, die eine Frau in »Kerle!« unterbringt. Gleichwohl klaffen die Nuancen in beiden Fällen weit auseinander. Zum Weib wird eine larmoyante, hysterische Frau, ein grauenvoll kokettes, schwatzsüchtiges und absolut desinteressiertes Heimchen am Herd. Dagegen machen einen Kerl die Liebe zum Besäufnis, die Schwäche gegenüber dem schönen Geschlecht, fürchterliche Manieren sowie einfach nur schlecht geschnittene Fingernägel aus.
    Irina – da brauchte man nicht um den heißen Brei zu reden – besaß sowohl Koketterie wie auch Hysterie und all die typischen Unzulänglichkeiten von Frauen, wenn auch in gemilderter Form. Vielleicht gab einzig die harmonische Kombination den Ausschlag? Jeder Mensch ist aus guten und aus schlechten Eigenschaften geformt, doch gibt es wundersame Ausnahmen, in denen die Schwäche genau in dem Maße zu Tage tritt, dass sie anziehend, nicht abstoßend wirken. In einer kurzen Phase zeigen fast alle heranwachsenden Mädchen diese Harmonie – nur um sie dann rasch zu verlieren und erst im Balzac’schen Alter zurückzuerlangen. Oder auch niemals. Es gibt jedoch auch jene Glücksfälle, in denen der Gleichklang von plus und minus jedes Alter begleitet.
    Martin kam zu dem Schluss, Irina gefalle ihm aufgrund dieser schwer zu erreichenden Harmonie.
    »Gut, legen wir die Karten auf den Tisch«, stimmte Irina zu. »Du möchtest wissen, wie wir sieben geworden sind?«
    »Ja!«, rief Martin.
    Und der Himmel tat sich nicht auf. Die Türen wurden nicht aufgerissen, um eine Horde ergrimmter Amöben ins Zimmer zu lassen. Irina griff sich nicht ans Herz, von einem heimtückischen Infarkt getroffen.
    »Das ist ganz einfach«, sagte die junge Frau. »Die Steuerung.«
    »Was?«
    »Die Taste ›Steuerung‹ auf der Tastatur. Ich hatte mir ausgesucht, wohin ich wollte. Mindestens sechs oder sieben Planeten kamen für mich in Frage … Dann wählte ich, welchen ich zuerst besuchen wollte. Gewohnheitsgemäß drückte ich noch auf ›Steuerung‹, um mit der Maus den Namen in der Gesamtliste zu markieren.«
    »Aber die waren alle schon markiert?«, fragte Martin begriffsstutzig.
    »Ja. Daraufhin drückte ich auf ›Eingabe‹. Nicht, weil ich hoffte, mich zu teilen. Ich habe angenommen, ich würde … per Zufallsgenerator auf einen dieser Planeten geschickt.«
    »Ein Loch«, bemerkte Martin irritiert. »Ein Loch im Programm. Das haben die Schließer nun davon, dass sie die Computer der Menschen einsetzen!«
    »Ganz genau.« Irina lächelte.
    »Microsoft sei Dank!«, brachte Martin aufgeregt hervor. »Hat man das Loch gestopft?«
    »Woher soll ich das wissen? Vermutlich schon.«
    Flüchtig schoss Martin der Gedanke durch den Kopf, die Vervielfältigung Irinas würde den alten Streit darüber, wie die Tore funktionierten, vollends komplizieren. Bringen sie einen

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