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Spektrum

Spektrum

Titel: Spektrum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Wolken zu wandeln, sich bei der Hand zu halten, dem Atem des anderen zu lauschen …
    Aber Irina – seine Irina – gab es nicht mehr in diesem Universum.
    Sie war nicht einfach gestorben, sie war verschwunden. Mit einem unsichtbareren Cursor war sie ausgelöscht worden, wie ein Druckfehler, wie ein überflüssiger Buchstabe, wie ein zufällig auf dem Bildschirm erschienenes Leben.
     
    Es blieb nur die Erinnerung. Die Wärme ihrer Hand loderte noch immer auf Martins Handteller, gleichsam als schmerze eine amputierte Extremität, die sich nicht mit dem eigenen Tod abfinden wollte.
    Martin bedachte die Station mit einem hasserfüllten Blick.
    Dann ging er weiter, den Kopf in die Wolken getaucht.
    Dieser Nebel hatte nichts mit dem häufig zitierten Londoner Nebel gemein – übrigens war es Martin nie vergönnt gewesen, die Themsestadt im Nebel anzutreffen. Aber auch dem normalen Nebel, der im Herbst durch die kleinen Wälder bei Moskau wogt oder zielsicher auf Flughäfen zukriecht, glichen die Wolken auf Talisman nicht. Zwar verbargen sie vor Martin unverzüglich die kleine hässliche Sonne, blieben selbst jedoch licht, leuchteten beinahe – als wandle er in einer einzigen Wolke aus flüssigem Licht. Zudem ging von ihnen kaum Feuchtigkeit aus, eher ein trockener Dampf wie von verdunstender Kohlensäure, allerdings warm.
    Martin stieg die steil nach unten führende Treppe hinab. Der Stein endete bald, an seine Stelle trat Holz.
    Der Nebel leuchtete, es schien sogar, dass er die Umgebung nicht verhüllte, sondern sie vielmehr illuminierte. Unter Martins Füßen knarzten die hölzernen Stufen. Mehrmals wich er seitlich aus, als er gegen ein straff gespanntes Seil stieß, das ebenso als improvisiertes Geländer wie auch als Halterung der Treppe diente. Schließlich kapitulierte Martin und tastete sich am Seil entlang, das unter seiner Hand entlangglitt.
    Es war unmöglich herauszubekommen, ob er allein auf der Treppe war oder ob vor ihm andere frisch eingetroffene Wanderer gingen oder sich ihm von Talisman erschöpfte Touristen entgegenschleppten. Die Sicht betrug höchstens zwei, drei Meter, alle Laute versickerten im Nebel. Nur das schwache Knarren der Stufen ließ sich vernehmen …
    Vielleicht war es auch besser so. Martin wusste, dass die Station etwa zweihundert Meter über der Oberfläche des Planeten lag. Selbst wenn im Nebel kaum Wind wehte, blieb es ein unangenehmes Unterfangen, an dieser schwankenden Seilkonstruktion den steilen Hang hinunterzuklettern.
    Langsam verblasste das Licht des Nebels. Am Ende des Weges erwartete Martin ein dumpfes, finsteres Halbdunkel. Allerdings leuchteten vor ihm jetzt elektrische Lichter auf. Die Siedlung Amulett, die inoffizielle Hauptstadt von Talisman, ertrank in künstlichem Licht. Elektrische Energie mussten die Bewohner nicht sparen.
    Den ersten Goldgräber traf Martin, kaum dass er die Treppe hinter sich gelassen hatte. Er stand jetzt auf dem spiegelnden schwarzen Stein, der hier und da glänzte und rutschig wie Eis war, zumeist jedoch rissig und abgetragen.
    Der Goldgräber hockte neben seinem »Safe«, einem aus dem Stein aufragenden runden Deckel über einer Luke mit einem Durchmesser von einem halben Meter. Natürlich bestand die Abdeckung aus demselben schwarzen Stein wie der gesamte feste Grund von Talisman.
    »Friede sei mit Ihnen!«, sagte Martin, während er so dicht an die Figur herantrat, bis die vage Silhouette des Goldgräbers Konturen gewann.
    Der junge, verdreckte Mann drehte sich um und beäugte Martin mit einem misstrauischen Blick. Dann zuckte er mit dem Kinn und antwortete widerwillig: »Friede …«
    »Wie läuft’s denn?«, fragte Martin, während er in Richtung »Safedeckel« nickte.
    Der Goldgräber zuckte ausweichend mit den Schultern. In dem Moment piepte seine Uhr und er machte sich, Martin prompt vergessend, daran, den Deckel entgegen dem Uhrzeigersinn zu drehen. Obwohl der Deckel sichtlich schwer war, bat der Mann nicht um Hilfe.
    »Schaffen Sie es?«, erkundigte sich Martin. »Oder soll ich Ihnen helfen?«
    Schnaufend bewegte der Mann den Deckel. Er sah in den »Safe«, eine kleine Vertiefung im Stein. Darin gähnte Leere.
    »Nächstes Mal werde ich Glück haben«, murmelte der Mann und drehte den Deckel wieder zu. Auf der Steinscheibe stand in grell fluoreszierender Farbe eine achtstellige Zahl und der Buchstabe S geschrieben. Als der Mann seine Arbeit beendet hatte, linste er auf die Uhr und stellte den Timer.
    »Alle dreiundvierzig

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