Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spektrum

Spektrum

Titel: Spektrum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
Vom Netzwerk:
seinem Hirn auf, doch Martin verstand nur allzu gut, wie schwer es war, auf einem fremden Planeten zu überleben und eine menschliche Haltung zu bewahren. Er wandte sich ab, hockte sich an einem Kanal hin und wusch sich tobend vor Wut Hände und Gesicht, wobei er mit einem Knäuel Algen nicht nur das Blut, sondern die Erinnerung an den lebenden wie den toten Körper abrieb.
    »Martin.« Eine der Indianerinnen kam auf ihn zu. Bereits in Turnschuhen. Sie streckte ihm die feuchte Hand entgegen, auf dem der Jeton der Reisenden und eine Kette mit einem kleinen silbernen Kreuz lagen. »Das müssen Sie ihren Eltern zurückgeben.«
    »Nein, damit muss sie beerdigt werden«, setzte Martin an, um dann zu verstummen. »Ja, gut. Vielen Dank.«
    »Grollen sie uns nicht«, bat die Indianerin.
    »Das tu ich nicht«, beruhigte Martin sie.
    Hinter der Indianerin tauchte Klim auf. Er setzte sich neben Martin und sah ihn niedergeschlagen an.
    »Hat sie noch irgendetwas gesagt?«, fragte er.
    Martin legte den Rucksack ab und kramte in einer der Seitentaschen nach Seife. Er schüttelte den Kopf. »Nicht ein einziges Wort.«

Fünf
     
    Hauptstadt erreichte Martin erst nach Einbruch der Dunkelheit. Der Leuchtturm half ihm, denn mochte das unablässige Blinken auch noch so ärgerlich sein, es bot ihm eine Orientierung. Vermutlich dürfte es nicht leicht sein, bei dem grellbunten Geflacker in einem Zelt einzuschlafen. Andererseits – woran gewöhnte man sich nicht alles. Darüber hinaus hielt der Leuchtturm einen weiteren Vorteil bereit, den Martin erst zu schätzen wusste, als er sich der Zeltstadt näherte: Er ersetzte Laternen. Hatte man sich erst einmal an das Licht gewöhnt, war es ein Kinderspiel, sich im Rhythmus des rot-grün-weißen Stroboskops fortzubewegen. Obschon Martin mit Batterien nicht zu geizen brauchte, löschte er nun seine Taschenlampe, um nicht aufzufallen.
    Des Nachts wirkte das Dorf weit belebter als tagsüber. Zwischen den Zelten huschten die Schatten der Außerirdischen umher, die aufgrund ihrer Natur nachts aktiv wurden. Doch auch etliche Menschen schienen lieber während der heißen Tagesstunden zu schlafen. Auf einer kleinen Insel, von der alle Obelisken erbarmungslos fortgeschafft worden waren, machte Martin eine richtige Diskothek aus. Die Musikanlage dröhnte, die Jugend – sowohl die menschliche wie die nichtmenschliche – tanzte. Abgehackte Bewegungen, ein heißer Rhythmus und die Signale des Leuchtturms verschmolzen zu einer wilden, doch betörenden Szene.
    Martin blieb stehen, um die Tanzenden zu beobachten. Nach einer Weile ging er weiter.
    Er schlenderte am Strand entlang, an dem sich vor kurzem noch die Nudistinnen gesonnt hatten. Junge Frauen gab es hier selbstverständlich keine, sie schienen förmlich vom Erdboden verschluckt. Dafür saßen am Wasser zwei stramme Kerle, die lachten und über etwas palaverten. »Mit einer echten, Ljowa!«, schnappte Martin auf. »Mit einer echten!«
    In weiterer Ferne klimperte auf einer Insel, die vom Lärm weitgehend verschont geblieben war, eine Gitarre los, jemand sang dazu etwas auf Spanisch über Galeonen, Piraten und Stürme. Einen Moment lang blieb Martin stehen und lauschte.
    O ja, hier brodelte das Leben.
    Warum hatte Irotschka Poluschkina nicht einfach in diesem Dorf bleiben können?
    Aber wäre sie damit ihrem Mörder entgangen? Wer vermochte das schon zu sagen?
    Keine Sekunde zweifelte Martin daran, dass der Robbenartige ganz bewusst auf Irina losgegangen war – zumindest so bewusst, wie es einem Kchannan möglich war. Jemand hatte dieses halbintelligente Geschöpf auf die junge Frau gehetzt. Jemand hatte einen Befehl erteilt und sie damit zuverlässiger getötet, als wenn er selbst den Abzug gezogen hätte. Möglicherweise hatte der Kchannan sogar gewusst, wie verschwindend gering seine Chancen waren, sich danach selbst zu retten. Dennoch hatte er den Gehorsam nicht verweigert.
    Wer? Weshalb? Er brauchte nur die Antwort auf eine der beiden Fragen zu finden – und hätte damit auch die auf die andere. Doch Martin sah keine Antwort. Der Einzige, der ein wenn auch zweifelhaftes Motiv besaß, war Klim. Ließ Martin allerdings die Möglichkeit zu, der Direktor habe den Befehl gegeben, dann musste er sich auch die Frage stellen, wie er wohl den Robbenartigen gezähmt hatte. Falls der Auftraggeber für den Mord einer der Geddarn war, die in Hauptstadt lebten, stellte sich wiederum die Frage nach dem Motiv. Fürchtete er, das Mädchen könne das Geheimnis

Weitere Kostenlose Bücher