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Spektrum

Spektrum

Titel: Spektrum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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von Bibliothek knacken? Das passte so gar nicht zu dem Verhalten, wie Martin es von Geddarn kannte. Nicht von ungefähr führte diese Rasse stets ein Schwert mit sich, benutzte aber nie, niemals, eine andere Waffe.
    Auch in Irinas Sachen hatte er keinen Hinweis entdecken können. Ein paar Kleidungsstücke, zwei Schokoladenriegel, versteckt zwischen frisch gewaschenen Socken und Taschentüchern, fünf unbeschriebene Notizbücher und eine Schachtel Bleistifte.
    Kurzum, jedes Spekulieren erwies sich als müßig – was Martin jedoch nicht hinderte, damit fortzufahren. Zwei Gefühle, nämlich das Mitleid mit der jungen Frau und verletzter Stolz, motivierten ihn stärker als jeder Vertrag. Martin wählte ein Zelt, aus dem schwaches Licht und Unterhaltung drangen, und trat an die heruntergelassene Eingangsplane heran. Auf sein Hüsteln reagierte niemand. Gegen den Stoff zu klopfen schien ihm albern, den Besitzer zu rufen unpassend. Schließlich bemerkte Martin neben dem Eingang ein kleines messingenes Glöckchen, mit dem er denn auch läutete.
    Eine hochgewachsene magere Frau mit groben, männlich wirkenden Gesichtszügen schlug die Plane zurück. Hinter ihr erblickte Martin einen in einer Ecke stehenden Jungen. Allem Anschein nach hatte sein Kommen eine erzieherische Maßnahme unterbrochen.
    »Ja?«, fragte die Frau schroff.
    Der Knabe fing wie ein kleiner Hund zu winseln an.
    »Hör auf zu heulen«, blaffte die Frau ihn an, ohne sich auch nur umzudrehen. »Sonst setzt’s was! Was wollen Sie?«
    Verlegenheit bemächtigte sich Martins. Es behagte ihm nicht, zum Zeugen innerfamiliärer Fehden zu werden, was vielleicht an seiner Arbeit als Privatdetektiv lag, die ihn in einem fort zwang, in der schmutzigen Wäsche anderer zu wühlen.
    »Entschuldigen Sie die Störung, aber ich bin noch nicht lange hier«, fing Martin an. »Ich suche David, den Chef der Verwaltung auf Bibliothek …«
    »Ich habe ihn nicht gewählt«, verkündete die Frau grimmig.
    Immerhin trat sie zum Zelt heraus und wies mit der Hand die Richtung. »Da drüben. Das ausgebleichte rote Zelt, neben dem an einem Pfeiler die blaue Flagge weht.«
    »Verzeihen Sie, aber warum haben Sie ihn denn nicht gewählt?«, konnte Martin sich nicht verkneifen.
    »Was geht Sie das an, mein Herr?«, grummelte die Frau, wobei sie Martin mit einem misstrauischen Blick maß.
    Im Zelt stimmte der Junge erneut sein Gejammer an, worauf die Frau entschlossenen Schrittes kehrtmachte, sorgsam darauf bedacht, die Plane hinter sich herunterzulassen.
    Der ohne Antwort gebliebene Martin marschierte in die angezeigte Richtung. Zwar konnte er es kaum abwarten, von Bibliothek fortzukommen, gleichwohl musste er zuvor David noch einen Besuch abstatten. Und sei es nur – wie die Etikette es einem jeden Reisenden vorschrieb –, um Briefe für die Erde mitzunehmen.
    David schlief noch nicht. Er saß auf einer aus Obelisken errichteten kleinen Bank an einem Kanal und las im Schein einer kleinen Taschenlampe einen als Taschenbuch gebundenen Roman. Bekleidet war er lediglich mit weiten Trainingshosen und einem Jackett, das er über dem nackten Oberkörper trug. Bei Martins Auftauchen rutschte er schweigend zur Seite und klappte das Buch zu.
    »Interessant?«, erkundigte sich Martin. Das sich in den Armen liegende Pärchen auf dem Cover legte stärker als jeder Klappentext den Gedanken an einen Liebesroman für Damen nahe.
    »Nicht sehr.« David zuckte vage die Achseln. »Aber Internetversionen hängen mir zum Hals raus, und gedruckte Bücher gibt es bei uns nur sehr wenige. Ist etwas passiert?«
    »Wie kommen Sie denn darauf?«
    »Kommen Sie, Martin«, seufzte David. »Auf diese detektivischen Spitzfindigkeiten wollen wir doch verzichten … Sie kehren allein zurück. Dabei machen Sie auf mich keinesfalls den Eindruck eines Menschen, der leicht aufgibt. Ist mit dem Mädchen etwas passiert?«
    »Sie ist tot.«
    David stieß einen leisen Fluch aus. »Das glaub ich nicht«, meinte er kopfschüttelnd. »Wir haben hier zwar Unfälle, aber …«
    »Sie wurde ermordet.«
    Einen ausgedehnten Moment lang schauten Martin und David einander an. »Ich habe immer geahnt, dass früher oder später diese unnormalen …«, bemerkte David dann.
    »Irina ist vor meinen Augen ermordet worden. Und nicht von den Bewohnern Enigmas.«
    Davids Kiefernmuskeln vollführten einen wilden Tanz. »Hören Sie auf, mich so anzustarren, Martin, und mir die Informationen bröckchenweise zu geben! Sie müssen hier keinen

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