Spektrum
weit in die Nacht zusammenzusitzen noch die Nachbarschaft mit ihrem Gesang zu erschrecken beabsichtigen.
Der Onkel wusste Pelmeni zu goutieren. Zwar aß er sie langsam und ohne jeden Kommentar, was Martin leicht irritierte, blickte jedoch viel sagend auf den Topf, kaum hatte er den ersten Teller verputzt. Folglich musste umgehend die zweite Portion aufgesetzt werden.
Das Gespräch plätscherte dahin, angenehm, wie es zu erwarten war, bisweilen auch lauter. Die beiden diskutierten über Fußball. Martin hielt sich zwar nicht für einen eifrigen Fan, freute sich jedoch über den überraschenden Sieg der russischen Nationalmannschaft. Sie stritten über die letzte Miete, die die Schließer gezahlt hatten, eine ausgeklügelte Technologie zur Synthese von Nahrungsmitteln aus Brennholz, mit der man den Hunger zwar in der Tat bezwingen konnte, die jedoch etliche neue Problem aufwarf. Der Onkel setzte Martin dabei auf höchst unangenehme Weise in Erstaunen, indem er hitzig und mit unziemlichen Ausdrücken für die Geburtenkontrolle in den Ländern Asiens und Afrikas plädierte. Phrasen wie »Das Brauchtum der Karnickel lässt ebenfalls keine Familienplanung zu« oder »Jetzt kommen sie ganz bestimmt von den Palmen ‘runter, wo sie den Baum endlich essen können« nahm der Onkel zwar beschämt zurück, doch in der Sache blieb er bei diesen Aussagen.
Martin hatte es gerade mit einem raffinierten Zug geschafft, das Gespräch in ruhigere Bahnen zu lenken, als Shenka anrief und fragte, ob er, da in der Nähe, nicht auf einen Sprung vorbeischauen dürfe.
Über den Besuch seines kleinen Bruders freute sich Martin, auch der Onkel taute sogleich auf– selbst wenn Martin sein erklärter Liebling war –, setzte sich in strahlendes Licht und unterzog den frisch auf der Bildfläche erschienen Neffen einem leidenschaftlichen Verhör: Warum dieser so selten anrufe und ihn noch seltener besuche, welcher Teufel ihn geritten habe, zur Journalistik zu wechseln, und ob sich Shenka und Olga nun endlich ausgesöhnt hätten.
Auf alle Fragen gab der kleine Bruder geflissentlich Auskunft, sogar über Olga ließ er sich des Langen und Breiten aus und sprach vage von Aussöhnung – kurz gesagt, er log wie ein Anwalt. Da der Onkel heute jedoch friedlicher Stimmung war, zog er es vor, über die Lüge hinwegzusehen.
Martin stellte frische Pelmeni her und holte eine zweite Nullkommasiebenliterflasche aus dem Kühlschrank, denn er war nicht nur ein kultivierter und maßvoll trinkender, sondern auch ein vorausschauender russischer Mann. Die Pelmeni boten ein trauriges Bild, eine einzige mickrige Portion war übriggeblieben, die zu kochen absurd gewesen wäre. Doch sowohl der Onkel wie auch Shenka hatten genug, verlangten keinen Nachschlag und zeigten sich mit dem Russischen Standard, leicht eingesalzenen Gurken und fein geschnittener Räucherwurst vollauf zufrieden. Martin selbst nahm kaum am Gespräch teil, hörte sich Shenkas Flunkereien und die onkelschen Repliken voller Genuss an, verblüfft von der List und dem besonderen Sinn für Humor, den helle alte Menschen nach ihrer Pensionierung entwickeln.
Als es auf Mitternacht zuging, wurde der Onkel allmählich müde und wollte aufbrechen. Das Angebot, bei Martin zu übernachten, lehnte er entschieden ab, desgleichen den Vorschlag, ihn zu begleiten. Ein Taxi rief er prinzipiell nicht. Die fünfzig Meter bis zur nächsten Kreuzung würde er, wie er verkündete, zu Fuß gehen, dort ein Auto finden, das in seine Richtung fuhr, und somit trefflich Geld sparen. Martin hätte es auf einen Streit angelegt, wäre ihm nicht eingefallen, dass an der Kreuzung eine Milizeinheit Dienst schob, die, sobald sie den angeheiterten Rentner erblicken würde, diesen in ein Taxi verfrachten und den Fahrer ins Gebet nehmen würde, den Alten bis vor die Haustür zu bringen. Von daher beruhigte Martin sich, verabschiedete seinen Onkel und holte aus dem Kühlschrank eine kleine, eine Halbliterflasche Wodka, war er doch nicht nur ein kultivierter und vorausschauender Russe, sondern auch ein erklärter Faulpelz, weshalb er von Produkten vordringlichen Bedarfs Vorräte anlegte. Sein Bruder präsentierte ihm ein Kästchen erlesener Zigarren und gab zu bedenken, selbige verlangten wohl nach einer anderen Begleitung.
Zehn Minuten später, nachdem sie die schmutzigen Teller ins Spülbecken gestellt hatten, saßen die Brüder im Wohnzimmer, in schweren breiten Gläsern schwappte der Glenmorangie, fünfzehn Jahre alt und im
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